Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD im Jahr 2013 wurde von vielen als große Enttäuschung in steuerpolitischer Hinsicht empfunden. Statt klarer Aussagen und mutiger Schritte dominieren vage Versprechen, allgemeine Floskeln und der Versuch, unangenehme Wahrheiten hinter wohlklingenden Begriffen zu verstecken. In diesem Text beleuchten wir die wesentlichen Kritikpunkte – und zeigen, was die Bürgerinnen und Bürger wirklich erwartet.
Kaum Substanz: Steuerpolitik auf neun Seiten
Von 185 Seiten des Koalitionsvertrags widmen sich gerade einmal neun dem Thema „Solide Finanzen“. Die Aussagen zur Steuerpolitik lassen dabei viele Fragen offen:
- Es wird versprochen, ab 2015 auf neue Schulden zu verzichten.
- Gleichzeitig kündigt man teure sozialpolitische Leistungen an – ohne aufzuzeigen, wie diese finanziert werden sollen.
- Eine echte Steuerreform, wie sie von Experten seit Jahren gefordert wird, ist nicht geplant.
Tabelle: Was steht – und was fehlt
Aussage im Koalitionsvertrag | Tatsächlicher Zustand |
---|---|
Einhaltung der Schuldenbremse | Keine Angaben, wie neue Ausgaben gegenfinanziert werden |
Gerechtes Steuerrecht nach Leistungsfähigkeit | Solidaritätszuschlag bleibt unangetastet |
Kein Wort zur kalten Progression | Steuerzahler rutschen heimlich in höhere Belastungen |
„Zeitgemäßes Steuerrecht“ | Experten fordern seit Jahren umfassende Reformen |
Die heimliche Steuererhöhung durch kalte Progression
Ein besonders brisantes Thema wird im Vertrag vollständig ignoriert: die kalte Progression. Sie führt dazu, dass Lohnerhöhungen durch den progressiven Einkommensteuertarif teilweise wieder aufgefressen werden – ohne dass es eine Gesetzesänderung braucht. Besonders betroffen sind dabei Durchschnittsverdiener.
Beispiel: Spitzensteuersatz für Durchschnittsgehälter
Früher galt der Spitzensteuersatz als Marke für hohe Einkommen. Heute trifft er breite Teile der Mittelschicht.
Tabelle: Entwicklung des Spitzensteuersatzes
Jahr | Beginn des Spitzensteuersatzes | Durchschnittseinkommen | Verhältnis |
---|---|---|---|
1960 | ca. 60.000 € | 3.144 € | 19-faches Einkommen |
2013 | 55.000 € | 29.584 € | 1,8-faches Einkommen |
Das bedeutet: Viele normale Arbeitnehmer werden heute wie Reiche besteuert – ohne reiche Einkommen zu beziehen.
Selbstveranlagung und Datenschnüffelei
Statt den Steuerzahler zu entlasten, plant die Koalition offenbar, ihm mehr Aufgaben zu übertragen:
- Bürger sollen Steuererklärungen zunehmend selbst erstellen und digital einreichen.
- Rentner und Pensionäre erhalten vorab ausgefüllte Formulare auf Basis staatlich gesammelter Daten.
- Gleichzeitig will man Steuerhinterziehung strenger bestrafen – ein klarer Hinweis auf eine Verschärfung des Strafrechts.
Diese Entwicklung lässt befürchten: Der Staat zieht sich aus der Verantwortung zurück, delegiert mehr an die Bürger – und kriminalisiert Fehler, die aus Unwissen entstehen.
Steuerstrafrecht: Mehr Einnahmen durch Strafe
Statt zu differenzieren zwischen vorsätzlichem Steuerbetrug und fahrlässiger Falschangabe, werden immer neue Fallstricke gebaut. Das Ziel: Einnahmen steigern – nicht Rechtssicherheit schaffen.
Auf einen Blick: Kritikpunkte am Steuerstrafrecht
- Keine klare Trennung zwischen Betrug und Versehen
- Verschärfung der Selbstanzeige-Regeln
- Wachsende Einnahmeerwartungen aus Bußgeldern
Allein Bayern plante 2014 mit über 185 Millionen Euro Einnahmen aus Geldstrafen – ein Plus von mehr als 50 Prozent gegenüber 2010.
Erbschaftsteuer: Verfassungswidrig, aber gefeiert
Eine besonders fragwürdige Passage des Koalitionsvertrags lobt die Erbschaftsteuer als „arbeitsplatzsichernd“. Tatsächlich halten sowohl führende Verfassungsrechtler als auch Richter des Bundesfinanzhofs das geltende Erbschaftsteuergesetz für verfassungswidrig.
Das Bundesverfassungsgericht prüft aktuell bereits zum dritten Mal diese Regelung – eine Reform scheint unausweichlich.
Kein Wort über echte Steuervereinfachung
Viel wurde über Steuervereinfachung gesprochen – passiert ist wenig. Statt das Steuerrecht für Bürger und Unternehmen einfacher und verständlicher zu machen, drohen neue Belastungen und mehr Bürokratie durch digitale Selbstauskünfte.
Was wirklich auf die Steuerzahler zukommt
Die Bundesregierung verspricht keine Steuererhöhungen – rechnet intern aber mit deutlich steigenden Einnahmen.
Tabelle: Steuermehreinnahmen laut Bundesfinanzministerium
Jahr | Zusätzliche Einnahmen (in Mrd. €) |
---|---|
2013 | — |
2017 | +8,0 |
2013–2017 | +17,5 |
Verantwortlich sind:
- Inflation (steigende Preise)
- Kalte Progression (Lohnsteigerungen führen zu höheren Steuersätzen)
- Keine Anpassung der Tarife an Preisentwicklung
Fazit: Steuerpolitik ohne Ehrlichkeit
Der Koalitionsvertrag enthält kaum konkrete Aussagen zur Steuerpolitik – und noch weniger echten Willen zur Reform. Stattdessen wird die Steuerlast der Bürgerinnen und Bürger still und leise erhöht. Die wichtigsten Punkte auf einen Blick:
Stichpunktartige Zusammenfassung
- Solidaritätszuschlag bleibt trotz früherem Versprechen bestehen.
- Kalte Progression wird nicht ausgeglichen, Lohnerhöhungen verpuffen.
- Durchschnittsverdiener zahlen den Spitzensteuersatz.
- Steuerstrafrecht wird verschärft, obwohl Transparenz fehlt.
- Selbstveranlagung wird Standard, Verantwortung wird abgewälzt.
- Erbschaftsteuer bleibt verfassungsrechtlich fragwürdig.
- Steuereinnahmen steigen – obwohl Steuererhöhungen angeblich ausbleiben.
Politik mit Respekt vor dem Steuerzahler sieht anders aus. Wer Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will, muss Transparenz, Fairness und Entlastung zur Richtschnur machen – nicht Verschleierung und Belastung durch die Hintertür.