Die Entscheidung des Bundestags vom 6. November 2014 hat weitreichende Folgen. Erstmals darf der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) überschuldeten Banken direkt mit Kapital helfen. Ursprünglich für die Rettung von Staaten geschaffen, wird der ESM damit zum Notfallinstrument für angeschlagene Finanzhäuser. Das ist nicht nur ein politischer Kurswechsel, sondern ein gravierender Bruch mit bisherigen Verträgen – und mit dem Vertrauen der Bürger.
Was ist neu?
Direkte Bankenhilfe durch den ESM
Bisher durfte der ESM – mit 700 Milliarden Euro ausgestattet – Staaten finanzieren, um das Eurosystem zu stabilisieren. Jetzt darf er:
- Banken direkt rekapitalisieren (also mit frischem Eigenkapital ausstatten),
- ohne Zwischenschaltung des jeweiligen Staates,
- unter bestimmten Voraussetzungen, etwa bei drohender Finanzinstabilität im gesamten Euro-Raum.
Warum das problematisch ist
1. Der Steuerzahler zahlt – die Bankaktionäre kassieren
Die neue Regelung bedeutet: Wenn Banken Verluste machen, springt notfalls der Staat ein – oder eben der ESM, der mit Steuergeldern finanziert wird. Die Gewinne bleiben jedoch bei den Aktionären und Managern. Das widerspricht grundlegenden Prinzipien:
- Haftung für eigenes Risiko: Wer Gewinne einstreicht, muss auch für Verluste aufkommen.
- Keine Entlastung ohne Gegenleistung: Steuerzahler dürfen nicht für Managementfehler haften.
2. Bruch des ESM-Vertrags
Der ESM-Vertrag erlaubt nur Hilfen an Staaten, nicht an Banken. Der direkte Kapitalfluss an private Institute ist dort nicht vorgesehen. Eine solche Ausweitung hätte eine Vertragsänderung benötigt – das ist nicht erfolgt.
3. Umgehung des Parlaments
Zentrale Kriterien der neuen Bankenhilfe wurden nicht im Bundestag, sondern nur im Haushaltsausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit beschlossen. Damit wurde:
- die öffentliche Debatte ausgehebelt,
- die Entscheidung wenigen Abgeordneten überlassen,
- die demokratische Kontrolle stark eingeschränkt.
Der ursprüngliche Schutzmechanismus – jetzt ausgehöhlt
Der ESM wurde mit strengen Bedingungen geschaffen. Dazu zählten:
- Hilfen nur in extremer Not (ultima ratio),
- Anpassungsprogramme für betroffene Staaten (z. B. Sparmaßnahmen),
- Rückzahlungspflicht durch den Staat.
Jetzt können marode Banken gerettet werden – ohne:
- Anpassungsprogramme des Staates,
- klare Rückzahlungsverpflichtungen,
- Rückhalt durch nationale Haushaltsdisziplin.
Tabelle: Alt vs. Neu – Hilfe durch den ESM
Merkmal | Bisheriger ESM-Mechanismus | Neue Direktrekapitalisierung |
---|---|---|
Hilfeempfänger | Staaten | Banken |
Rückzahlungspflicht | Staat haftet | Bank haftet (unsicher) |
Voraussetzung | Gefahr für Euro-Raum insgesamt | Gefahr für einzelnen Staat |
Beteiligung Parlament | Zustimmung Bundestag | Ausschussbeschluss unter Ausschluss der Öffentlichkeit |
Warnsignale aus der Praxis
Schon bei früheren Rettungsaktionen wurden politische Versprechen gebrochen. Erinnern Sie sich?
- 2010: „Einmalige Rettung Griechenlands“ – es folgten weitere.
- 2012: „Keine direkte Bankenhilfe durch den ESM“ – jetzt doch.
- 2014: „Steuerzahler haften nicht für Banken“ – und nun?
Zitat Angela Merkel (G-20-Gipfel Brisbane):
„Es wird nie wieder so sein, dass Steuerzahler aufgrund des erpresserischen Potentials der Großbanken für diese haften müssen.“
Die Realität sieht anders aus. Die direkte Bankenhilfe widerspricht genau diesem Anspruch.
Die demokratische Kontrolle – ein Opfer der Eurorettung?
Der Bundestag hat sich selbst entmachtet. Die wichtigsten Entscheidungen fallen hinter verschlossenen Türen. Sogar Abgeordnete, die kritisch nachfragen – wie Klaus-Peter Willsch – wurden aus dem Ausschuss entfernt. Das widerspricht dem Grundgedanken parlamentarischer Kontrolle.
Drei zentrale Probleme
- Verfassungsbruch: Der Bundestag hat Haushaltsverantwortung – nicht der Ausschuss.
- Transparenzverlust: Bürger erfahren nichts über Kriterien und Bedingungen.
- Vertrauensverlust: Das Parlament wird zum Abnick-Gremium degradiert.
Fazit: Risiko statt Rettung
Die direkte Bankenrekapitalisierung durch den ESM ist:
- ein klarer Vertragsbruch,
- ein Rückschritt für die Demokratie,
- eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Euro-Rettungspolitik.
Statt Banken endlich so zu regulieren, dass sie nicht mehr systemrelevant sind, wird das Risiko weiter vergemeinschaftet. Die Zeche zahlen die Steuerzahler – nicht die Verursacher. Vertrauen in Verträge, Kontrolle und Marktwirtschaft? Diese Prinzipien bleiben auf der Strecke.
Forderung an die Politik:
- Rückkehr zu echter Haftung und Verantwortung,
- Klare Regeln statt politischer Opportunismus,
- Demokratische Kontrolle durch das Parlament – nicht durch Ausschüsse im Geheimen.
Die europäische Finanzstabilität braucht keinen „Blankoscheck“ für Banken – sondern ehrliche, transparente und rechtsstaatlich einwandfreie Politik.