Die Wahl von Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde international mit Erleichterung aufgenommen – besonders in Deutschland. Nach vier Jahren diplomatischer Eiszeit mit Donald Trump stehen die Zeichen wieder auf Dialog, Verlässlichkeit und Multilateralismus. Doch auch unter Biden bleibt nicht alles einfach: Die wachsende Konfrontation zwischen den USA und China wird auch für Deutschland zur zentralen Herausforderung.
Hoffnung auf eine neue Partnerschaft
Joe Biden setzt auf Zusammenarbeit mit Partnern – in der NATO, in der Klimapolitik, im Umgang mit globalen Krisen. Er will die USA zurückführen in internationale Abkommen wie den Pariser Klimavertrag und die WHO. Für Deutschland, das stark auf internationale Kooperation setzt, ist das ein Aufbruchssignal.
Der Ton zwischen Berlin und Washington dürfte wieder freundlicher werden. Doch politische Freundlichkeit ersetzt keine strategische Klarheit. Die zentrale Frage bleibt: Wie positioniert sich Deutschland im neuen globalen Kräftemessen zwischen den USA und China?
Die USA und China – Rivalität mit System
Die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China sind kein neues Phänomen. Bereits unter George W. Bush und Barack Obama wurde Chinas Aufstieg als Bedrohung der amerikanischen Vormachtstellung betrachtet. Die wirtschaftliche Expansion, die militärische Modernisierung und der globale Einfluss durch die „Neue Seidenstraße“ – all das verändert die geopolitische Lage.
Besonders deutlich zeigt sich Chinas Selbstbewusstsein im Konflikt mit Taiwan und den Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer. Hinzu kommen wachsende Investitionen in Europa, Afrika und Asien – und ein zunehmender technischer Vorsprung in Zukunftsbranchen wie Künstliche Intelligenz oder Telekommunikation.
Die USA reagieren mit strategischem Gegendruck. Der militärische Fokus verschiebt sich Richtung Asien-Pazifik, die Konfrontation wird offener, der Ton schärfer – und unter Biden nicht leiser.
Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China
Für Deutschland bedeutet die amerikanisch-chinesische Rivalität ein Dilemma. China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner – noch vor den USA. Der bilaterale Außenhandel erreichte 2019 über 200 Milliarden Euro. Deutsche Unternehmen wie VW, Siemens oder BASF sind massiv im chinesischen Markt engagiert.
Zugleich sind die transatlantischen Beziehungen politisch und sicherheitstechnisch weiterhin das Fundament deutscher Außenpolitik. Die USA bleiben wichtigster Partner im NATO-Bündnis und größter Anbieter strategischer Sicherheit in Europa.
Die Frage, die sich Deutschland stellen muss, ist daher brisant: Mit wem geht man, wenn es hart auf hart kommt?
Politischer Druck aus Washington – freundlich, aber bestimmt
Schon die Debatte um den chinesischen Netzwerkausrüster Huawei zeigte, wie massiv die USA Einfluss nehmen. Mike Pompeo, Trumps Außenminister, drohte Deutschland indirekt mit dem Ende der Geheimdienstkooperation, sollte Huawei beim Ausbau des 5G-Netzes zum Zug kommen.
Auch unter Biden wird dieser Druck nicht verschwinden – er wird lediglich diplomatischer vorgetragen. Doch das Ziel bleibt gleich: Die USA erwarten von ihren Partnern klare Positionen in der Systemfrage – freiheitlich-demokratisch oder autoritär-staatsgelenkt?
Der strategische Handlungsbedarf Deutschlands
Deutschland kann nicht länger zwischen zwei Stühlen sitzen. Die kommenden Jahre erfordern:
1. Eine ehrliche Sicherheitsdebatte
- Welche Rolle will Deutschland in der NATO spielen?
- Reichen 2 % Verteidigungsausgaben aus, wenn die USA eine strategische Unterstützung im Asien-Pazifik-Raum fordern?
2. Eine klare Technologiepolitik
- Wie geht man mit chinesischen Konzernen im Bereich Telekommunikation, Künstliche Intelligenz und Cloud-Infrastruktur um?
3. Ein realistischer Umgang mit China
- Wirtschaftlicher Partner ja – aber unter welchen Bedingungen?
- Wie reagiert Deutschland auf Menschenrechtsverletzungen oder aggressives Verhalten Chinas in der Nachbarschaft?
4. Stärkere europäische Koordination
- Deutschland muss seine China-Politik stärker mit der EU abstimmen.
- Eine gemeinsame europäische Position gibt mehr Gewicht und schützt vor bilateraler Erpressbarkeit.
Fazit
Die Präsidentschaft Joe Bidens bietet Deutschland eine neue Chance auf Vertrauen, Respekt und Dialog mit den USA. Doch sie entbindet nicht von der Pflicht zur strategischen Positionierung. Die Frage lautet nicht mehr, ob es einen Systemkonflikt gibt – sondern nur noch, wie man darin handelt.
Deutschland braucht deshalb eine außen- und sicherheitspolitische Erneuerung. Wer die eigene Zukunft gestalten will, darf nicht nur reagieren – sondern muss klare Prinzipien vertreten. Denn eines ist sicher: Neutralität im neuen globalen Wettbewerb wird keine dauerhafte Option sein.