Victor Klemperer schrieb unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg: „Sprache lenkt mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen.“ In seinen Beobachtungen zur Sprache des Nationalsozialismus zeigte er eindrucksvoll, wie Ausgrenzung und Gewalt sprachlich vorbereitet wurden. Begriffe wie „Arier“ oder „Mischehe“ waren Teil des Vokabulars, das den Weg zur Vernichtung ebnete.
Auch heute erkennen wir, wie Worte wirken. Sprache formt Realität, sie ist ein Instrument der Macht. Populisten wissen das – und nutzen es bewusst. AfD-Politiker wie Gauland, Höcke oder von Storch bedienen sich gezielt rechter Begriffe, um den öffentlichen Diskurs zu verschieben. Ihre Aussagen über „Überfremdung“ oder „barbarische Männerhorden“ schaffen Feindbilder und bereiten Hass den Boden.
Sprache als Waffe – und Schutzschild
Worte verletzen, sie grenzen aus und erzeugen Gewalt. Das zeigen auch die rechtsextremen und antisemitischen Anschläge der letzten Jahre. Sprachliche Verrohung ebnet nicht nur den Weg zur Gewalt – sie ist oft der erste Schritt. Schon Freud erkannte die emotionale Kraft von Worten. Und Klemperer warnte davor, dass Sprache den Boden bereiten kann für systematische Vernichtung.
Doch Sprache ist nicht nur Waffe – sie kann auch schützen. Wer sich der Macht von Begriffen bewusst ist, sollte sorgfältig mit ihnen umgehen. Der pauschale Vorwurf „Nazi“ oder „Faschist“ gegen jede Form der Regierungskritik führt nicht zu mehr Klarheit. Im Gegenteil: Er verhindert notwendige Differenzierung.
Zwischen berechtigter Kritik und gefährlicher Verharmlosung
Natürlich sind viele Aussagen aus dem Querdenken-Milieu inakzeptabel. Die Verbindung zwischen Corona-Leugnern und Rechtsextremen ist real. Aber nicht jeder, der sich gegen Maßnahmen äußert, ist automatisch ein Antidemokrat. Der Verfassungsschutz beobachtet mittlerweile Gruppierungen wie „Querdenken 711“ – zurecht. Doch auch hier gilt: Sprache sollte differenzieren, nicht pauschalisieren.
Wenn Menschen die Maßnahmen des Staates hinterfragen, ist das legitim. Wenn sie sich jedoch mit Antisemiten und Rechtsextremen solidarisieren, verwirken sie das Anrecht auf ungeteiltes Verständnis. Trotzdem bleibt es wichtig, bei aller Klarheit im Ton die Grenzen des Dialogs nicht vorschnell zu ziehen.
Der politische Ton macht die Musik
Es ist verständlich, dass viele Bürger mit Sorge auf Entwicklungen in Politik und Gesellschaft blicken. Doch das bedeutet nicht, dass man den Dialog aufgeben darf. Gerade jetzt ist es entscheidend, dass wir die Sprache nicht den Populisten überlassen. Demokraten müssen klarmachen: Wer mit NS-Vergleichen hantiert, verharmlost das Grauen des Holocaust. Wer unsere freiheitliche Demokratie als Diktatur bezeichnet, greift ihren Kern an.
Zugleich dürfen wir denen, die noch offen sind für Argumente, keine Türen zuschlagen. Die Sprache der Demokratie muss aufklären, nicht nur abgrenzen. Sie muss ein Angebot machen – an die Unentschlossenen, die Unsicheren, die Suchenden.
Politik muss erklären – nicht belehren
Verständnis braucht Sprache. Wenn politische Entscheidungen nicht nachvollziehbar erklärt werden, fühlen sich Menschen übergangen. Gerade in Krisenzeiten – ob Pandemie, Migration oder Klimawandel – ist es entscheidend, dass Politiker nicht nur handeln, sondern auch vermitteln. Denn wer nicht erklärt, überlässt das Feld den einfachen Parolen der Populisten.
Politik ist kompliziert. Und doch muss es gelingen, sie verständlich zu machen. Das ist eine Frage von Respekt und Verantwortung – und die Voraussetzung dafür, dass Bürgerinnen und Bürger mitgehen.
Der sanfte Ton als Haltung
Wir leben in lauten Zeiten. Doch gerade jetzt brauchen wir den sanften Ton: differenziert, klar und fest in der Sache. Nicht jeder, der schreit, hat recht. Und nicht jeder, der leise ist, liegt falsch.
Die Verteidigung unserer Demokratie beginnt mit der Sprache. Es liegt an uns, den Ton zu setzen – bestimmt, aber mit Haltung. Kurt Tucholsky schrieb einst: „Die Sprache ist eine Waffe, haltet sie scharf.“ Das sollten wir ernst nehmen – mit Verstand und Verantwortung.