Moria – das Mahnmal europäischer Flüchtlingspolitik

Moria – das Mahnmal europäischer Flüchtlingspolitik

Redaktion

Deutschland, Politik

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Moria steht nicht mehr. Das Lager auf Lesbos, in dem rund 13.000 Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen lebten, ist abgebrannt. Es war über Jahre ein Symbol des Versagens europäischer Migrationspolitik. Das Lager war für weniger als 3.000 Menschen konzipiert, die Überbelegung, katastrophale hygienische Zustände und zuletzt Corona machten es endgültig zum Brennpunkt der Krise. Viele Menschen weigerten sich, in das neu errichtete Lager zu ziehen – aus Angst, dass sich Geschichte wiederholt.

Appell aus der Zivilgesellschaft

Die Seebrücke und zahlreiche Initiativen fordern seit Jahren: Evakuierung, Aufnahme, Menschlichkeit. „Holt sie alle nach Deutschland!“ lautet der Appell. Und sie haben recht: Wer flieht, braucht Schutz – unabhängig davon, ob sich europäische Staaten auf eine gemeinsame Linie einigen können. Das reichste Land Europas darf sich nicht hinter dem Ruf nach einer EU-Lösung verstecken, sondern muss vorangehen.

Doch die Debatte darf nicht bei Moria enden. Auch Geflüchtete in anderen Lagern, obdachlose anerkannte Schutzsuchende in Athen oder Menschen an der Balkanroute, in der Türkei, in Libyen oder Syrien – sie alle brauchen Aufmerksamkeit, Schutz und politische Lösungen.

Das Scheitern des Hotspot-Systems

Der Brand von Moria zeigt das ganze Elend des sogenannten Hotspot-Ansatzes, wie er im EU-Türkei-Abkommen 2016 verankert wurde. Statt menschenwürdiger Asylverfahren wurden systematisch Orte der Entrechtung geschaffen. Menschen mussten sich als besonders „verletzlich“ darstellen, um überhaupt Chancen auf Hilfe zu haben. Das Resultat: Ein Wettbewerb des Leids – und ein Verlust grundlegender Rechte.

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Politik der Abschottung und Abhängigkeit

Die Idee hinter Deals wie dem mit der Türkei: Flüchtlinge sollen außerhalb der EU-Grenzen gestoppt werden. Doch zu welchem Preis? Präsident Erdoğan hat mehrfach gezeigt, dass er Flüchtlinge als Druckmittel einsetzt. Gleichzeitig wurde die syrische Grenze mit EU-Unterstützung abgeriegelt – nun sitzen Hunderttausende in Idlib fest, ohne Schutz vor Bomben oder Corona.

Die Liste ähnlicher Abkommen ist lang: mit Niger, mit dem zerfallenden Libyen, mit Autokratien wie Sudan oder Eritrea. Die EU verspricht sich Stabilität und Kontrolle – bekommt aber Mitverantwortung für Folter, Gewalt und Entrechtung.

Menschen sind keine Verhandlungsmasse

Was all diese Abkommen vereint, ist ein zynisches Grundprinzip: Menschen auf der Flucht werden zur Verhandlungsmasse gemacht. Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Kooperation dienen als Hebel, um autoritäre Staaten zu Grenzwächtern Europas zu machen – ohne Rücksicht auf Menschenrechte oder den politischen Kontext vor Ort.

Das erinnert fatal an koloniale Logik. Statt Verantwortung zu übernehmen, lagert Europa seine humanitäre Pflicht aus und ignoriert eigene Mitverantwortung an Krisen und Konflikten in den Herkunftsregionen.

Was jetzt zu tun ist

Wenn Europa Zustände wie in Moria wirklich beenden will, braucht es einen echten Kurswechsel. Nötig sind:

  • Die sofortige Aufnahme von Geflüchteten aus griechischen Lagern in europäische Staaten – auch ohne einstimmige EU-Beschlüsse.
  • Eine Abkehr von Deals mit Autokraten und die klare Absage an menschenrechtswidrige Rückführungsabkommen.
  • Die Schaffung sicherer und legaler Wege nach Europa, statt gefährlicher Fluchtrouten.
  • Der Aufbau fairer und transparenter Asylsysteme in ganz Europa – inklusive echter Verteilungsgerechtigkeit.
  • Eine Politik, die Ursachen von Flucht angeht – nicht Symptome verwaltet.
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Fazit: Menschlichkeit ist kein Verhandlungspunkt

Moria ist nicht einfach nur abgebrannt – es ist als Symbol einer gescheiterten Flüchtlingspolitik eingestürzt. Wer aus diesem Desaster lernen will, muss aufhören, Menschen wie Waren zu verhandeln. Europa braucht kein neues Lager mit altem System, sondern eine neue, menschenrechtsbasierte Migrationspolitik. Dafür ist jetzt der Moment. Doch er verlangt Mut – und das klare Nein zu jeder Form von Deal, der Menschenrechte mit Füßen tritt.