Am 4. September 2020 wird im Weißen Haus eine ungewöhnliche Zeremonie inszeniert: Donald Trump verkündet den „großen Durchbruch“ im Kosovo-Konflikt. Neben ihm sitzen Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und Kosovos Premierminister Avdullah Hoti. Beide wirken eher befangen als begeistert. Was folgt, ist keine klassische Friedensvereinbarung – sondern eine politische Show mit weitreichenden Nebenwirkungen.
Einseitige Unterschriften, zweifelhafte Inhalte
Entgegen dem Eindruck, es handle sich um einen Vertrag, unterschrieben beide Seiten zwei unterschiedliche Dokumente. Der Titel „Ökonomische Normalisierung“ soll Gemeinsamkeit suggerieren, doch inhaltlich handelt es sich überwiegend um unverbindliche Absichtserklärungen.
Was konkret vereinbart wurde:
- Gemeinsame Infrastrukturprojekte: Autobahnen, Bahnlinien
- Verbesserter Grenzverkehr und Energiekooperation
- Kosovo tritt der „Mini-Schengen-Zone“ bei
- Serbien setzt ein Jahr lang seine Kampagne gegen die Kosovo-Anerkennung aus
- Kosovo verzichtet ein Jahr auf Anträge bei internationalen Organisationen
- Gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen
- Beide Länder wollen auf 5G-Technologie „nicht vertrauenswürdiger Anbieter“ verzichten
- Gemeinsames Bekenntnis gegen Diskriminierung von Homosexualität
All das klingt konstruktiv – vieles davon war jedoch bereits mit der EU verabredet, aber bislang nicht umgesetzt.
Nahost als Nebenschauplatz – mit ernsten Konsequenzen
Besonders auffällig ist die Einbindung des Nahost-Konflikts in die Vereinbarung, obwohl dieser mit dem Kosovo-Konflikt nichts zu tun hat.
Trumps außenpolitische Querverbindungen:
- Kosovo erkennt Israel an, was Spannungen mit arabischen Ländern auslöst
- Serbien will seine Botschaft nach Jerusalem verlegen – ein Bruch mit EU-Außenpolitik
- Diese Entscheidungen wirken wie Gefälligkeiten an Trumps Nahost-Agenda und an Premier Netanjahu
Die EU zeigt sich entsprechend irritiert – nicht nur wegen der Inhalte, sondern auch wegen der Art und Weise, wie Trump die europäische Balkanpolitik öffentlich demontiert.
Diplomatische Wirkung: mehr Schein als Substanz
Der Deal wurde von Trump als bedeutender Schritt Richtung Frieden verkauft. Tatsächlich geht es aber nicht um politische Normalisierung, sondern um eine rein wirtschaftliche Annäherung – ohne rechtlich bindende Verpflichtungen.
Kritikpunkte vieler Beobachter:
- Keine bilaterale Vereinbarung zwischen Serbien und Kosovo
- Kein klarer Fortschritt in der Kosovo-Frage selbst
- Vage Formulierungen, fehlende Durchsetzungsmechanismen
- Politische Inszenierung für Trumps Eigenmarketing
Selbst innerhalb von Serbien und Kosovo stieß der Deal auf Widerstand und Erklärungsnot. Besonders die Nebenabsprachen zur Israel-Politik werfen Fragen auf.
Wer profitiert wirklich von diesem Deal?
Aus Sicht der westlichen Balkanstaaten könnte der Empfang im Weißen Haus kurzfristig Prestige bringen – vor allem für Kosovo. Doch der erwartete wirtschaftliche Aufschwung bleibt bislang aus.
Wichtige Überlegungen:
- Kein konkreter Investitionsplan der USA in Aussicht
- Risiko außenpolitischer Isolierung (besonders für Serbien)
- Unmut bei traditionellen Partnern wie Russland, arabischen Staaten und der EU
Und: Wer verdient am meisten?
- US-Firmen wie Bechtel – bereits bekannt für teure Großprojekte in der Region
- Ehemalige Diplomaten mit Verbindungen zu Bau- und Infrastrukturkonzernen
- Politische Akteure, die sich mit Deals auf Kosten öffentlicher Haushalte profilieren
Es entsteht der Eindruck, dass der „Deal“ weniger den Ländern hilft – sondern vielmehr jenen, die ihn vermittelt oder vermarktet haben.
Fazit: Viel Show, wenig Fortschritt
Der Westbalkan-Deal unter Trumps Ägide war kein historischer Durchbruch, sondern eine diplomatische Inszenierung mit gemischtem Inhalt. Anstelle echter Friedensarbeit gab es politische Symbolik – kombiniert mit wirtschaftlichem Kalkül und geopolitischer Instrumentalisierung.
Die zentralen Fragen bleiben:
- Wie geht es im Kosovo-Konflikt wirklich weiter?
- Welche Rolle kann oder will die EU künftig noch spielen?
- Wie kann man wirtschaftliche Entwicklung fördern, ohne geopolitisch zu spalten?
Wer dauerhaft Stabilität im Westbalkan erreichen will, braucht mehr als Deals aus dem Weißen Haus. Es braucht ehrliche Verhandlungen, transparente Vereinbarungen – und Partner, die an langfristiger Entwicklung statt an kurzfristigem Applaus interessiert sind.