Die Nachricht, dass Wladimir Putin sich öffentlich hinter J.K. Rowling stellt – ausgerechnet wegen Kritik an ihrer transfeindlichen Haltung – klingt zunächst wie ein absurdes Randereignis.
Doch bei genauerem Hinsehen wird deutlich: Dahinter steckt System.
Putin nutzt gesellschaftliche Debatten über Geschlecht, Vielfalt und Gleichberechtigung, um sein eigenes Weltbild zu stabilisieren – und seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine ideologisch zu rechtfertigen.
Antifeminismus als Machtinstrument
Putins Regime verfolgt seit Jahren eine klare Linie: Wer sich für Frauenrechte oder LGBTQI+-Belange einsetzt, gilt als Feind einer „natürlichen Ordnung“. Diese Sichtweise wird nicht zufällig befeuert – sie ist fester Bestandteil seiner autoritären Strategie.
Gesetzesbeispiele aus Russland:
- Entkriminalisierung häuslicher Gewalt (2017) – Gewalt in Familien wurde zur „Privatsache“ erklärt
- Verbot „homosexueller Propaganda“ – queeres Leben darf nicht öffentlich sichtbar sein
- Einschränkungen für NGOs und Aktivisten – besonders im Bereich Menschenrechte
Diese Maßnahmen dienen einem Zweck: gesellschaftliche Kontrolle durch ein starres Wertebild, das Gehorsam und Hierarchie belohnt – und alle Abweichungen dämonisiert.
Das Bild vom „verweichlichten Westen“
In Putins Rhetorik steht der Westen für Dekadenz und moralischen Verfall – weil dort Gleichstellung und Vielfalt gefördert werden. Russland dagegen inszeniert sich als letzte Bastion „echter Männlichkeit“.
Der Präsident als starker Mann, der mit freiem Oberkörper reitet – dieses Image ist bewusst gewählt. Es dient dazu, Stärke mit Rückschritt zu verknüpfen. Fortschritt, Menschenrechte oder Emanzipation werden als Bedrohung dargestellt.
Krieg als Patriarchat im Extremmodus
Mit dem Angriff auf die Ukraine zeigte sich diese Ideologie in Reinform. In seiner Kriegsrede am 24. Februar 2022 klang nicht nur Nationalismus durch – sondern auch:
- Misogynie
- Queerfeindlichkeit
- Antisemitische Verschwörungsmythen
Krieg wird hier nicht nur militärisch geführt, sondern auch kulturell – gegen die Idee einer offenen, gleichberechtigten Gesellschaft. Das ist kein Zufall, sondern Kalkül.
Der Rückschritt in unseren eigenen Köpfen
Besorgniserregend ist, dass Putins Strategie auch in westlichen Diskursen Anklang findet. In Kommentarspalten, Talkshows und Meinungsbeiträgen tauchen zunehmend Aussagen auf, die gegen Minderheiten hetzen – oft im Namen einer „vermeintlichen Freiheit“.
Was dahintersteckt:
- Rückkehr zu rigiden Geschlechterrollen
- Verklärung von Männlichkeitsidealen als angebliche Stärke
- Entwertung demokratischer Prinzipien im Namen autoritärer Sehnsucht
Mancher redet von „Freiheit“, meint aber in Wahrheit die Freiheit, gegen Schwächere auszuteilen. Das gefährdet nicht nur Gleichstellung, sondern auch die Demokratie selbst.
Fazit: Zwischen Symbolpolitik und Systemfrage
Putins Verteidigung von J.K. Rowling ist kein Zufall. Es ist Teil eines größeren ideologischen Rahmens, in dem Geschlechterpolitik zur Waffe gemacht wird.
Wer dem etwas entgegensetzen will, muss Demokratie ernst nehmen – nicht nur als Schlagwort, sondern als Haltung. Dazu gehört, die Rechte marginalisierter Gruppen nicht zur Debatte zu stellen, sondern sie zu schützen. Denn genau darin liegt wahre Stärke – nicht im autoritären Brüllen, sondern im selbstbewussten Zusammenleben.