Kolumne | Aus dem Bannaskreis
Kolumne | Aus dem Bannaskreis
Abermals wird die Bundesversammlung, die Frank-Walter Steinmeier in zwei Wochen wieder zum Bundespräsidenten wählen wird, ein verdichtetes Spiegelbild politischer Wirklichkeit sein: Was war, was ist, was wird?
Verwunderlich ist es nicht. Wie kein anderes Gremium bildet sie durch ihre Zusammensetzung die Gewichte in Deutschland ab, die Stärken in und zwischen den Parteien, ihre Interessen und Befindlichkeiten, im Bund und den Ländern. Dieses Mal wird die Bundesversammlung die größte aller Zeiten sein. Ihre 1472 Mitglieder – 736 Bundestagsabgeordnete und noch einmal so viele nach den dortigen Mehrheitsverhältnissen von den 16 Landtagen delegierte – werden nicht im Reichstagsgebäude tagen können, sondern im Paul-Löbe-Haus zusammenkommen, einer Büro-Liegenschaft des Bundestages mit Atrium und Emporen. Der Ortswechsel ist der Tatsache geschuldet, dass sich die Parteien in der vergangenen Wahlperiode nicht auf eine deutlichere Verkleinerung des Parlaments verständigten und dass es wegen der Corona-Seuche zusätzlich Abstandsgebote gibt.
Die Bundesversammlung – Abbild und Instrument. Dass 1949 der FDP-Politiker Theodor Heuss Bundespräsident wurde, diente Konrad Adenauer (CDU) als Mittel, die Liberalen an sich zu binden. 1964 unterstützte die SPD Heinrich Lübke (CDU), um ihre Regierungsfähigkeit nachzuweisen und eine große Koalition zu ermöglichen, wie es 1966 auch kam. Die Wahl Gustav Heinemanns (SPD) 1969 durch SPD und FDP nahm den „Machtwechsel“ vorweg – die Regierung Brandt/Scheel. Walter Scheels Aufstieg zum Staatsoberhaupt 1974 war nach Brandts Rücktritt ein Gegengeschäft zur Wahl Helmut Schmidts zum Bundeskanzler. 1999 wurde Johannes Rau (SPD) Bundespräsident, was Ausdruck der rot-grünen Mehrheitsverhältnisse in Bund und Ländern war. Mit der Nominierung von Horst Köhler wollten Union und FDP 2004 eine schwarz-gelbe Koalition vorbereiten. Deren Krise wurde offenbar, als Christian Wulff (CDU) 2010 erst im dritten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Und ihr Ende wurde eingeleitet, weil die FDP nach Wulffs Rücktritt 2012 Joachim Gauck, den Kandidaten von SPD und Grünen, unterstützte und der Union nichts anderes blieb, als das auch zu tun. Dass CDU und CSU auch 2017 keinen eigenen Kandidaten fanden und schließlich Steinmeier wählten, war ein Vorzeichen ihrer Krise. Ihre Begründung, jetzt keinen „Zählkandidaten“ ins Rennen schicken zu wollen, ist hanebüchen. Die Liste unterlegener Kandidaten liest sich wie ein „Who is Who“ angesehener Prominenz: Carlo Schmid, Annemarie Renger und Gesine Schwan etwa. Sogar Richard von Weizsäcker, Rau und Gauck schafften es erst im zweiten Anlauf.
Die anderen Parteien wollen Ansprüche und Ziele mit tatsächlich chancenlosen Kandidaten untermauern – die Grünen einst mit der Schriftstellerin Luise Rinser, die FDP mit Hildegard Hamm-Brücher, die Linkspartei dieses Mal mit dem Sozialmediziner Gerhard Trabert. Die AfD provoziert mit dem CDU-Mann Max Otte. Dass die Grünen jetzt auf die Nominierung einer Frau verzichteten, ist verständlich: Koalitionsräson. Sie werden es neu versuchen. Prognose: 2027 wird eine Frau Staatsoberhaupt werden. Erstmals.