Kolumne | Direktnachricht
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„Sexuelle Gewalt in Konflikten ist seit jeher ein Element des Krieges, und wir als internationale Gemeinschaft nehmen es noch immer nicht ernst genug.“ Eine ernüchternde Feststellung, die von der ehemaligen Nato-Repräsentantin für Frauen, Frieden und Sicherheit, Clare Hutchinson, stammt. Wie für andere Expert_innen auch, kamen die zunehmenden Berichte sexualisierter Gewalt im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für sie keineswegs unerwartet. Das Herz bleibt gegenüber den zahlreichen wie grausamen Schilderungen trotzdem schwer.
Betroffen sind in der Ukraine vor allem Mädchen und Frauen, insgesamt aber Menschen aller Geschlechter und Altersgruppen. Das verdeutlicht, was auch hier im öffentlichen Diskurs zu sexualisierter Gewalt viel zu oft noch (mutwillig) missverstanden wird: Sexualisierte Gewalt ist kein Ausdruck von Sexualität, sondern Ausdruck eines patriarchalen Dominanzverhaltens mittels sexueller Handlungen. Noch bevor Putin im Februar die Ukraine angriff, machte er sich über diese mit einem Song-Zitat lustig, das auf eine Vergewaltigung anspielt: „Meine Schönheit, ob es dir gefällt oder nicht, es ist deine Pflicht.“
Diese Art der Gewalt beginnt freilich nicht erst mit einem Kriegsausbruch – und hört auch nicht danach auf – aber der Krieg verstärkt ihre Dynamik immens. Sexualisierte Gewalt im Krieg ist keine Waffe, die man teuer bei anderen Staaten einkaufen muss. Sie wird billig selbst hergestellt, auf dem heimischen Nährboden der Misogynie. Sie ist die Verachtung und Feindlichkeit gegenüber allen, die das „Weiche, Weibliche und Andere“ verkörpern und nicht der harten männlichen Norm entsprechen. Besonders innerhalb militärischer Strukturen wird diese Abscheu geradezu kultiviert.
Vergewaltigung als Kriegswaffe ist deshalb immer auch als Konsequenz ungleicher Geschlechterverhältnisse zu verstehen. Sie soll dabei nicht nur die Erniedrigung oder gar Zerstörung des einzelnen Opfers bewirken. Ebenso zielt sie auf dessen Familie, die Gesellschaft und die Nation ab. Die körperliche Gewalt in Kombination mit psychischer soll die gesamte Gemeinschaft vernichten. Auch für die Ukraine sehen Expert_innen schon Einzelmerkmale von Völkermord gegeben.
Die öffentliche Wahrnehmung gegenüber sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe änderte sich langsam Anfang der 1990er-Jahre. Damals wurden Massenvergewaltigungen aus dem Bosnienkrieg und dem Völkermord in Ruanda bekannt. 2008 bezeichnete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erstmals den Einsatz sexualisierter Gewalt als Kriegstaktik und erkannte sie als Kriegsverbrechen an. Viel zu lange sah man weg, doch auch alle seitdem beschlossenen UN-Resolutionen nützen als bloße papierne Forderungen wenig – das gilt bereits für Friedenszeiten und in Kriegszeiten erst recht. Um Betroffenen wirklich zu helfen und weitere Menschen vor sexualisierter Gewalt zu schützen, braucht es schließlich konkrete Maßnahmen und umgesetzte Beschlüsse. Oder in den Worten von Clare Hutchinson: „Nun passiert es wieder hier bei uns, auf europäischem Boden, und wir sind schockiert. Aber Schock ist keine Antwort. Wir müssen handeln.“
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