Streaming Wars, öffentlich-rechtlich: ARD und ZDF denken über Reformen nach. Ziemlich vorsichtig
Streaming Wars, öffentlich-rechtlich: ARD und ZDF denken über Reformen nach. Ziemlich vorsichtig
„Ob jeder weiß, was wir alles machen?“ Natalie Amiri, zuletzt ARD-Korrespondentin in Tehran, hat dieser Tage auf Twitter ihren Fans erklärt, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk bietet, „für knapp 60 Cent pro Tag – ich sag’s ja nur“: Knapp 20 TV-Programme, über 60 Radioprogramme, Online-Angebote „ohne Ende“ und „zig“ Angebote in Mediatheken.
Was soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk künftig sein und wie viel? Darüber verhandeln seit Jahren die Länder, die für die Medien zuständig sind. Koordiniert wird die Medienpolitik traditionell in der Mainzer Staatskanzlei. Das SPD-geführte Haus ist sehr bei den Sendern. Doch Staatssekretärin Heike Raab, die Koordinatorin der Rundfunkkommission, muss den Kompromiss finden. Der zeichnet sich inzwischen ab unter dem Stichwort „Flexibilisierung“.
Verfügungsmassen
Bisher haben die Länder jede einzelne bundesweite Aktivität in Radio und TV in ihrem Medienstaatsvertrag festgehalten. Künftig wollen sie nicht mehr alles fix bestellen. Als gesetzt gelten das Erste, das Zweite und die Dritten, außerdem Arte und 3sat, für die mit anderen Ländern Verträge geschlossen wurden. Alles andere wird zur beweglichen Masse: die ARD-Spartenprogramme One, Tagesschau24 und Alpha, dazu ZDFneo und ZDFinfo.
Überraschend für die Sender ist, dass sogar die Gemeinschaftsprogramme Phoenix und der KiKa nicht mehr sicher sind vor dem geplanten Update des Medienstaatsvertrags. „Am Ende des Lebens steht immer ein Kompromiss“, sagt Raab. Ihre Regierung habe sich „ein Stück bewegt“ und sei bereit, „auch Phoenix und den KiKa in die Flexibilisierung zu geben“.
Die vielen Programme, die in der Flexibilisierung landen sollen, sollen mit der angedachten Reform aber nicht einfach abgeschaltet werden. Das passiert nur, wenn die Intendanten das ihren Rundfunk- und Fernsehräten vorschlagen und die einen solchen Plan abnicken. Die Länder würden also Macht an die Senderchefs und deren Aufsichtsgremien abgeben – in denen aber wiederum unter anderem Vertreterinnen der Länder sitzen, Heike Raab etwa beim ZDF.
Mediathekisierung
Im Grunde wünschen sich die Sender dieses Modell. Wenn aus ihrer Sicht die Zeit reif wäre, um einzelne Kanäle abzuschalten, weil Menschen ohnehin vor allem in die Mediatheken gingen, müssten sie nicht bei den Ländern vorsprechen. „Wenn sich das Publikum vom Linearen mehr ins Digitale hinwendet und man kann es dann selber entscheiden, entkrampft es die Sache“, sagt Tom Buhrow, der Intendant des WDR und Vorsitzende der ARD.
Langfristig sind für die Sender die Mediatheken die Zukunft. Gemeinsam mit seinen acht weiteren Intendanten-Kollegen der ARD und ZDF-Intendant Thomas Bellut hat Buhrow beschlossen: Die Mediatheken binden auch die Sendungen und Filme des jeweils anderen ein. Im Prinzip entstehen damit „Supermediatheken“ mit zirka 250 000 Titeln. Die Sender ziehen damit in den Kampf gegen Netflix, aber auch Videoplattformen hiesiger Privatsender.
Die eigenen Mediatheken gibt bei diesem Manöver aber niemand auf. Immerhin soll die Technik künftig dieselbe sein, darunter auch ein eigener Empfehlungsmechanismus. Die Rundfunkkommission ist von diesem öffentlich-rechtlichen „Streaming-Netzwerk“ angetan.
Reformen, Reförmchen
Ihre Reform sieht allerdings auch danach aus, dass sie vor allem ein Reförmchen ist, bei der sich so schnell gar nichts ändert. Aktuell wollen ARD und ZDF keine Kanäle aufgeben. Die Lesart ist: Noch laufen einzelne Spartensender einfach zu gut. Den Doku-Kanal ZDFinfo haben im vergangenen Jahr beispielsweise täglich im Schnitt knapp 4,5 Millionen Menschen eingeschaltet. Sogar in der jüngeren Zielgruppe von 14 bis 49 Jahren legte der Sender zu.
Vorsichtig wird hinter den Kulissen aber darüber nachgedacht, Phoenix und Tagesschau24 zu fusionieren. Das Ergebnis könnte ein echter öffentlich-rechtlicher Nachrichtensender sein. Vor allem fiele damit ein Kanal weg.
Vor allem die FDP würde gerne deutlich Programme streichen und Unterhaltung und Sport dem vielfältigen privaten Markt überlassen. So soll nicht zuletzt der Rundfunkbeitrag sinken.
Die Liberalen regieren zwar in drei Ländern mit, allein: Die Reform wird nach derzeitigem Stand ihre Interessen kaum berücksichtigen. Andere Beteiligte fürchten den Widerstand des Bundesverfassungsgerichts. Das reagiert stets empfindlich, wenn die Länder den Beitrag steuern wollen, indem sie am Programm rumdoktern. Stichwort: Staatsferne. Außerdem seien auch Sport und Unterhaltung Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen, trotz der Privaten.
Darf’s ein bisschen mehr sein?
Erst im Dezember hatte Sachsen-Anhalt einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht zugestimmt. Vertreter der Landes-CDU hatten die Opulenz des öffentlich-rechtlichen Apparats als einen Grund benannt. Die Richter in Karlsruhe prüfen diesen Vorgang. Für die Sender stehen die Chancen gut, dass der Rundfunkbeitrag doch noch erhöht wird.
Die Länder feilen unterdessen noch an Feinheiten ihrer Reform, bevor im Herbst erst die Ministerpräsidenten und dann die Landtage zustimmen sollen. Wenn das klappt, soll der künftige Medienstaatsvertrag ab 2023 gelten. Und auch für die Finanzen der Sender soll sich dann etwas ändern: Die Länder wollen ARD, ZDF und Deutschlandradio zu mehr Transparenz verpflichten.
Die Sender sollen auf die anhaltende Kritik der Finanzkommission KEF reagieren und laufend aufschlüsseln, welche Kosten für ähnliche Sendungen auf unterschiedlichen Kanälen entstehen. Die Öffentlichkeit soll ihrem Rundfunk stärker auf die Finger schauen können – wenn er denn schon so groß ist.