Postskriptum
Postskriptum
Ohne Voraberklärnarrativ geht es ja, wie Dagmar Reim an dieser Stelle vor einiger Zeit so schön schrieb, schief – deshalb, zur Beruhigung der womöglich bereits in Anschlag gebrachten Twitterfinger, keine Einträge zu den oben genannten Themen, auch nicht zu den sozialmedialen „Lieblingen“ der Woche Martenstein, Harald, Benedikt, Emeritus oder Reichelt, Julian.
In der März-Ausgabe des Merkurs, der „Deutschen Zeitschrift für europäisches Denken“, hat der Soziologe Steffen Mau einen Aufsatz veröffentlicht, der auf wissenschaftliche Seitenhiebe nicht verzichtet, in der Sache aber auf ideologische Entschärfung aus ist – „Zur Diagnose der gesellschaftlichen Polarisierung“, wie es im Untertitel heißt.
„Somewheres“ gegen „Anywheres“, „Universalisten“ gegen „Partikularisten“ und seit kurzem auch sogenannte „Entdecker“ gegen „Verteidiger“, deren Identitätskonzepte sich jeweils deutlich unterscheiden sollen – Mau durchpflügt die eher ungeistigen Stichworte zur Zeit und die dahinterstehenden soziologischen Ansätze. Und hält dann mit den jüngsten empirischen Studien dagegen, die nicht etwa das Bild einer harmonisch geprägten Gesellschaft zeichnen, die einst „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ hieß und in vulgärkonservativen Kreisen noch immer einen verlockenden Klang haben mag. Aber Mau zeigt, dass sich die Konfliktlinien in den vergangenen Jahrzehnten nicht wesentlich verschärft haben.
Dazu kommt, die vereinheitlichten Sets an Glaubensbekenntnissen gehen in der wirklichen Welt nicht auf: „Die Charaktermaske des reinen Kosmopolitismus trägt nur eine kleine Gruppe.“ Bei sexueller Diversität, Klimaschutz und der Haltung gegenüber nichtheteronormativen Lebensformen und Identitäten lasse sich eben nicht umstandslos von der einen Position auf die andere schließen: Die Selbstgewissheit, mit der entsprechende Thesen im öffentlichen Diskurs behauptet würden, „steht in nur schwachem Zusammenhang zur analytischen Trittfestigkeit, wenn sie empirischen Boden berührt“.
Woher aber stammt die vermeintlich so aufgepeitschte Stimmung? Maus ausführliche sachlich-soziologische Erklärung lässt sich auch in weniger als 280 Zeichen zusammenfassen: Bürger und Bürger_innen*, lasst doch einfach mal das wilde Twittern sein. Es könnte helfen.