Die Spannungen zwischen China und den USA verschärfen sich auf bedrohliche Weise
Die Spannungen zwischen China und den USA verschärfen sich auf bedrohliche Weise
Vor einem halben Jahrhundert flog der amerikanische Präsident Richard Nixon nach China und holte das Reich der Mitte aus der weltpolitischen Isolierung heraus. Als alter Mann, der so staunend wie besorgt den rasanten Aufstieg der Volksrepublik verfolgte, soll Nixon seinem früheren Redenschreiber William Safire anvertraut haben: „Wir haben da vielleicht ein Frankenstein-Monster geschaffen.“ Vorige Woche griff der US-Außenminister Mike Pompeo das Gleichnis auf. And here we are, sagte er in der Nixon-Bibliothek im kalifornischen Yorba Linda. Frei übersetzt: „Jetzt haben wir den Salat.“ In einer knapp halbstündigen Rede zeichnete er das schreckenerregende Bild eines chinesischen Frankenstein-Monsters, über das die freie Welt die Oberhand gewinnen müsse.
In jüngster Zeit haben sich die Spannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten auf bedrohliche Weise verschärft. In Washington wie in Peking ist mittlerweile von einem zweiten Kalten Krieg die Rede; hier wie dort sprechen die Hardliner sogar von der Möglichkeit eines militärischen Konflikts. Die Thukydides-Falle, so benannt nach dem Bericht des griechischen Historikers über den verheerenden Konflikt der seinerzeitigen Vormacht Sparta und dem Aufsteiger Athen, bleibt ein plausibles Szenario im amerikanisch-chinesischen Verhältnis: Die aufsteigende Macht und die bisherige Vormacht geraten unausweichlich miteinander in Konflikt. Viele Fachleute sehen jedenfalls einen Großkonflikt heraufziehen, der die nächsten Jahrzehnte prägen wird.
An der der aktuellen Zuspitzung im chinesisch amerikanischen Verhältnis tragen beide Seiten ein gerüttelt Maß an Schuld. Einem zur Hybris übersteigerten Nationalismus frönt der Herr des Weißen Hauses ebenso wie der Große Steuermann im Zhongnanhai. Doch ist es jetzt Donald Trump, der aus Wahlkampfkalkül die Dinge auf die Spitze treibt.
Xi Jinpings „chinesischer Traum“, der Traum vom „großartigen Wiederaufleben der chinesischen Nation“, war eine Herausforderung an die Supermacht Amerika. Ins „Zentrum der Weltbühne“, erklärte er auf dem 19. Parteitag, solle die Volksrepublik rücken. Zur mächtigsten Militärmacht will er sie machen, zur größten und führenden Wissenschaftsmacht, zur Innovationsgroßmacht, zur Infrastruktursupermacht, zur Weltkulturmacht, zur Weltfußballmacht und zum Anführer im Kampf gegen den Klimawandel. Eine „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ will er aufbauen – was viele an den alten Begriff Tianxia erinnert, der den chinesischen Herrschaftsanspruch über „alles unter dem Himmel“ bezeichnete.
Xi ließ es nicht bei theoretischen Bekundungen bewenden. Seine Außenpolitik wurde ausgreifend, im Südchinesischen Meer offensiv und triumphalistisch in seinem Seidenstraßenprojekt. Sie weckte erst Skepsis, dann zunehmend Widerstand. Zumal seine Forderung nach „Respekt“ und „Harmonie“ nicht von ungefähr als Verlangen nach Unterwerfung unter Chinas politische Positionen begriffen wurde.
Die schrille Bullrigkeit von Pekings „Wolfskrieger“-Diplomaten, der Mangel an Entgegenkommen in den endlos sich hinziehenden Wirtschaftsverhandlungen, die Wühlarbeit der Einheitsfront-Influencer in aller Welt, Pekings Expansion im Südchinesischen Meer und seine Marinedemonstrationen gegen die japanischen Senkaku-Inseln, dazu die blutigen Scharmützel an der indisch-chinesischen Himalaya-Grenze, der wachsende Druck auf Taiwan, die Unterdrückung der Uiguren und die rücksichtslose Durchsetzung des neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes, das Hongkongs Halbautonomie drakonisch einschränkt – dies alles hat dazu geführt, dass die Volksrepublik Freunde verliert. Auch der Versuch, Chinas Bewältigung der Coronakrise nach sträflicher Verleugnung und Vertuschung als einzigartig und dem Vorgehen aller anderen überlegen anzupreisen, hat Peking nur Kopfschütteln und Stirnrunzeln eingetragen.
Feindseligkeit gegenüber China bestimmte von Anfang an Trumps Präsidentschaft, dem es vor allem um Chinas riesigen Handelsüberschuss ging. Inzwischen ist sie zum parteiübergreifenden Konsens von Demokraten und Republikanern geworden, und es geht längst nicht mehr bloß um die Handelsstatistik. Schon die National Security Strategy vom Dezember 2017 nannte die Volksrepublik eine „revisionistische Macht“, die versuche, die USA aus der indo-pazifischen Region zu verdrängen; dort sei „ein geopolitischer Konkurrenzkampf zwischen freiheitlichen und unterdrückerischen Weltordnungsvorstellungen im Gange“. Aber bald schon trat in amtlichen Stellungnahmen der Ausdruck „strategische Gegnerschaft“ an die Stelle des Begriffs „Konkurrenz“. Unter Außenminister Pompeo ist daraus „Feindschaft“ geworden.
Er hält die Kommunistische Partei Chinas für die „zentrale Bedrohung unserer Zeit“. In Yorba Linda war seine Botschaft: „Wenn wir ein freiheitliches 21. Jahrhundert haben wollen und nicht das chinesische Jahrhundert, von dem Xi Jinping träumt, so geht dies nicht, wenn wir an dem alten Paradigma blinden Engagements festhalten. Die freie Welt muss über diese neue Tyrannei triumphieren.“ Zu diesem Ende müsse man Wandel in China bewirken, indem man das Volk gegen die marxistisch-leninistische Partei „engagiere und ermächtige“. Und der Außenminister eines Präsidenten, der ständig alle Alliierten drangsaliert, forderte eine „Allianz der Demokraten“. „Wenn wir jetzt das Knie beugen, werden unsere Kindeskinder auf Gedeih und Verderb der KPC ausgeliefert sein, deren Handeln heute die schlimmste Herausforderung der Freien Welt ist.“
Es war eine surreale Tirade. Als ob die Kommunistische Partei eine Größe für sich sei, separat vom chinesischen Volk, das Pompeo aufwiegeln will, separat auch von der Regierung. Als ob der regime change, zu dem er auffordert, dem chinesischen Nationalismus ein Ende setzen werde. Als ob die chinesische Staatsideologie tatsächlich mit dem Marxismus-Leninismus noch irgendetwas zu tun hätte. Schließlich: als ob Trumps unzuverlässiges, auf sich selbst eingekrümmtes Amerika „die ideale Führungskraft“ wäre.
Die Europäer haben ihre eigenen Probleme mit China. Aus der amerikanischen Anti-Frankenstein-Allianz sollten sie sich heraushalten. Sie brauchen eine eigene China-Politik. Diese muss entschieden Europas Interessen wahren, zugleich jedoch die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Klimawandel, bei der Überwindung der Corona-Seuche, beim Wiederankurbeln der Weltwirtschaft eruieren und effektuieren.
Da wäre es auf jeden Fall hilfreich, wenn China, das auf die Respektierung seiner eigenen Auffassungen pocht, die Gelassenheit aufbrächte, die Ansichten anderer zu ertragen; ferner, dass es unter Harmonie nicht nur Untertänigkeit oder Willfährigkeit versteht, sondern die Hinnahme von Differenzen und das Anstreben von Kompromissen.