Am Ende: der Regenbogen

Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Über Markus Söders rustikale Richtungswechsel

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PICTURE ALLIANCE/DPA | SVEN HOPPE
Halb zog er an ihr, halb sank sie hin: Markus Söders Maske und seine Coronapolitik.
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PICTURE ALLIANCE/DPA | SVEN HOPPE
Halb zog er an ihr, halb sank sie hin: Markus Söders Maske und seine Coronapolitik.

Am Ende: der Regenbogen

Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Über Markus Söders rustikale Richtungswechsel

Ein Fähnchen im Wind, nein, das ist Markus Söder nicht. Kein leichter Lappen Stoff, der mal so, mal so weht. Wenn Söder sich dreht, dann mit der Eleganz eines Eiskunstläufers – und hinterher staunt man, wie er es geschafft hat, mühelos plötzlich in die andere Richtung zu gleiten. Der CSU-Chef ist dabei auch kein Amateur, sondern Profi – das war gerade wieder zu beobachten.

Eineinhalb Jahre lang trat Söder als Chef des von ihm so genannten „Team Vorsicht“ auf, er war, Seit’ an Seit’ mit Angela Merkel der oberste Corona-Bekämpfer, die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen eher immer einen Tacken schärfer als lockerer. Seit Ende 2021, Anfang 2022 hat er aber das Team gewechselt, es heißt nun: „Hoffnung“ und „Augenmaß“. Was gleich geblieben ist: Söder ist nicht einfach nur ein Teil dieses Teams, sondern versucht, direkt dessen Kapitän zu werden. Und so ein Schwenk, der geschieht nicht zögerlich, sondern kraftvoll, und auch danach sitzen die Botschaften wieder, als gäbe es keinen Widerspruch zu bereits Gesagtem.

Zum einen hat es natürlich einen ganz sachlichen Grund, dass der CSU-Chef nun diesen Weg beschreitet: Die aktuell vorherrschende Variante Omikron hat nicht die verheerenden Auswirkungen für das Gesundheitssystem, wie sie die vorherigen Varianten hatten – um ein schrittweises Zurücknehmen der Maßnahmen kommt die Politik gar nicht mehr herum, wenn sie sich das nicht von Gerichten vorschreiben lassen will.

Aber das allein dürfte nicht dahinterstecken, dass Söder sich mal wieder neu erfunden hat.

Da ist einmal die neue Rolle in Berlin. Die CSU ist nun zusammen mit der CDU in der Opposition. Ein Seit’ an Seit’ mit Scholz steht nun nicht mehr in der Beschreibung für diese Rolle – stattdessen geht es jetzt darum, zu zeigen, was die Ampel aus Unionssicht nicht hinkriegt, und das ist im Moment eine einheitliche Coronapolitik. Wie Söder versucht, die Ampel zu treiben, war schon einmal im Herbst zu beobachten, als er noch zum „Team Vorsicht“ gehörte. Als die Zahlen unter anderem in Bayern massiv stiegen, Patienten in andere Bundesländer verlegt werden mussten. Bis Söder selbst strengere Maßnahmen ergriff (was durchaus früher möglich gewesen wäre), zeigte er erst einmal mit dem Finger in Richtung Bund, wo die sich gerade formierende Koalition keine gemeinsame Linie fand.

Dass Söder mit seinem Vorgehen auch übers Ziel hinausschießen kann, hat sein Auftreten bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gezeigt, als er ankündigte, de facto Bundesrecht nicht umzusetzen. Bei der Kritik an der sektoralen Impfpflicht gingen zwar die meisten Unions-Ministerpräsidenten mit, beim Tonfall jedoch nicht. Und auch Söder ruderte wenige Tage später zurück – es war dann doch zu offensichtlich populistisch.

Aber die Oppositionsrolle für die Union, sie ist es nicht allein, die Söder umtreibt – dafür sind offiziell ja auch der neue Unions-Fraktionschef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt da. Söder hingegen ist auch Regierender. Zumindest noch. Denn die aktuellen Umfragen für seine Partei und auch für Söder selbst sind nicht so, wie das die von der absoluten Mehrheit verwöhnte CSU für akzeptabel hält. Sie kommt zumindest im Moment laut Infratest dimap auf 36 Prozent – alle anderen Parteien zusammen, die AfD ausgenommen, kämen auf 45 Prozent. In der CSU geht das Schreckgespenst der „Regenbogen-Koalition“ um – also ein breites Bündnis aus SPD, Grünen, FDP und Freien Wählern, das vor allem die CSU als Regierungspartei verhindern soll.

Hinzu kommt: Eine aktuelle Civey-Umfrage im Auftrag der Augsburger Allgemeinen Zeitung ergab, dass nur noch 33 Prozent der Bayern angeben, mit der Arbeit des Ministerpräsidenten zufrieden zu sein. Noch vor knapp einem Jahr waren es gerade die Umfragen, die Söders Argument waren, Kanzlerkandidat der Union zu werden.

Im Herbst 2023 stehen allerdings Landtagswahlen an. Wenn Söder dort nicht die Trendwende einleitet, sind die Aussichten für die CSU und auch für den CSU-Chef selbst für das kommende Jahr eher trüb.

Söder wäre im für die CSU schlimmsten Fall der erste Ministerpräsident und CSU-Chef seit 1954, der die Partei wieder in die Opposition führte. Es wäre außerdem seine erste Wahl der CSU-Spitze. Im Gegensatz zu 2018 gibt es niemanden, dem er dann die Verantwortung dafür übertragen könnte.

Dass es mit dem Hoch aus dem Frühjahr 2021 auch bald wieder vorbei sein könnte, deutete sich schon beim CSU-Parteitag im Herbst 2021 an. Mit nur 87,6 Prozent wurde er damals im Amt bestätigt. Möglicherweise noch ein mildes Ergebnis – denn nur zwei Wochen später war Bundestagswahl, da wählt so mancher den Parteichef der Geschlossenheit zuliebe auch mit Faust in der Tasche. Aber da zeigte sich schon, dass nicht mehr alle mit dem Parteichef zufrieden sind – auch wegen seiner strikten Coronapolitik. Nun scheint Söder dort gegensteuern zu wollen. Sorge dürften Söder unter anderem die Wirtschaft und die Kultur bereiten, beide Branchen ächzen – und aus CSU-Sicht besteht die Gefahr, dass diese zur FDP und den Freien Wählern überlaufen.

Es ist etwas, das Markus Söder mit seinem Vorgänger Horst Seehofer gemeinsam hat: das Gefühl für sich drehende Stimmungen, für das, was die Bevölkerung umtreibt, und wie man dann seine Politik dem anpasst – das hat er in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt und jetzt aktuell wieder. Bei zu vielen Windungen können allerdings auch Profis schon einmal auf dem Eis landen.

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