Applaus, Applaus, Applaus!

Parallelaktion in der Epochenwende: Baerbock und Laschet auf dem Schild

25
04
PICTURE ALLIANCE/DPA | KAY NIETFELD
Zwei deutsche Politikerinnen im Gespräch (im Januar 2020, damals waren keine Masken notwendig).
25
04
PICTURE ALLIANCE/DPA | KAY NIETFELD
Zwei deutsche Politikerinnen im Gespräch (im Januar 2020, damals waren keine Masken notwendig).

Applaus, Applaus, Applaus!

Parallelaktion in der Epochenwende: Baerbock und Laschet auf dem Schild

In einem der größten Romane deutscher Sprache arbeitet die Hauptfigur namens Ulrich über drei Bände hinweg ebenso engagiert wie vergeblich für eine sogenannte Parallelaktion, ein gleichzeitiges Thronjubiläum des österreichisch-ungarischen Kaisers Franz Joseph und dessen deutschen Pendant Wilhelm II. Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ beschreibt den Untergang der k.u.k.-Monarchie (im Roman: Kakanien) und der Monarchie allgemein, eine Epochenwende also.

Vergangene Woche hat sich in der aktuellen deutschen Politik auch eine politische Parallelaktion abgespielt, in einer Zeit, in der sich die Ära Merkel wie jene der beiden Kaiser seinerzeit dem Ende zuneigt, eine Parallelaktion auch in einer Epochenwende also. Union und Grüne haben dabei ihren jeweiligen Kanzlerkandidat respektive Kandidatin für die Bundestagswahl im September präsentiert – und es ist hinreichend beschrieben und vor allem bejubelt worden, wie glänzend und geräuschlos die Grünen es hinbekommen haben, Annalena Baerbock auf den Schild zu heben – und welch selbstzerstörerisches Schauspiel demgegenüber die Union über mehr als eine Woche geboten habe.

Das ist nicht verkehrt, aber zugleich etwas oberflächlich. Was waren das für Lobgesänge, die die Grünen sich da sichern konnten vorige Woche. Annalena Baerbock und Robert Habeck, die es beide ebenso unbedingt werden wollten wie bei der Union Markus Söder und Armin Laschet, einigen sich einvernehmlich hinter den Kulissen. Baerbock bezaubert sogleich die medialen Massen mit ihrer inhaltlich dünnen Ankündigung einer „anderen“ Politik. Es geht so weit, dass ihr am Ende eines Interviews auf Pro7 Beifall gespendet wurde – nicht von Zuschauern, sondern von den beiden Befragern, einem Mann und einer Frau.

Grüne Macht aber, das kann man festhalten, ist auch nicht anders als andere Macht. Sie ist ebenso archaisch wie jede Macht. Man darf daher fest davon ausgehen, dass es an Habeck weiter innerlich fressen wird, gar keine andere Wahl gehabt zu haben, als der Frau den Vortritt zu lassen. „Annalena“ spiele die Frauenkarte gar nicht, hat er vorher ein paar Mal gesagt. Das stimmt. Sie musste sie auch gar nicht spielen. Sie lag längst auf dem Tisch. Die Grünen, ausgerechnet die Grünen, kommen auch mit einem Mann um die Ecke, wo die beiden anderen Aspiranten-Parteien auch mit Männern daherkommen? Niemals. Habeck hatte nie den Hauch einer Chance.

Dass das in ihm arbeitet, hat er kurz nach der Nominierung seiner Kollegin in einem Interview in der Zeit auch offen eingeräumt. Zitat: „Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen“, sagte Habeck dort über seine „persönliche Niederlage“. Und beklagte sich über den Sexismus, dem er ausgesetzt gewesen sei, indem er auf sein Aussehen reduziert worden sei.

Da hat er recht. Sogar mehr, als er glaubt. Denn Baerbock setzt sich ungeniert und erfolgreich in Szene. Man möge sich bitte dazu einmal die Aufnahmen ansehen, die zu ihrer Kür, frisch gephotoshoppt, auf den Markt geworfen wurden. Es sind genau solche Fotos, gegen die die Grünen sofort Sturm laufen würden, wenn sie Teil der Werbekampagne eines Autoherstellers wären.

Interessanterweise spielen sie mit ihrer Kandidatin aber genau auf der Klaviatur, die sie woanders sofort beklagen und anprangern. Das ist bigott und heuchlerisch. Es wäre interessant, was Alice Schwarzer zu diesen Lolita-Fotos der grünen Spitzenkandidatin sagen würde. Baerbock setzt jedenfalls die Waffen einer Frau ungeniert ein. Das ist ihr gutes Recht. Gerhard Schröder und Willy Brandt sind auch von Frauen gewählt worden, weil sie die beiden attraktiv und sexy fanden. Aber dass eine Partei, die sich dem Kampf gegen Sexismus verpflichtet fühlt, derart mit zweierlei Maß misst, ist bemerkenswert.

Aber Photoshop allein wird Baerbock nicht ins Kanzleramt hieven, und wenn die kritischen Fragen schon nicht von Journalist:innen gestellt werden, dann wird sie der politische Gegner aufwerfen. Derweil trägt Habeck weiter seinen Schmerz des Unterlegenen mit sich herum – im Gefühl intellektueller Überlegenheit. Die grüne Schmusenummer hat das Potenzial, jederzeit als Trugbild aufzufliegen.

Das jedenfalls kann Armin Laschet und Markus Söder nicht mehr passieren. Sie wissen spätestens nach dieser brutalen Woche, woran sie wechselseitig sind, was sie aneinander haben, und vor allem: was nicht. Vor aller Augen haben sie ihren Kampf um die Kandidatur ausgetragen. Das dürfte eine reinigende, eine klärende Wirkung gehabt haben. Katharsis nennt man das im klassischen Drama. Sie folgt auf Furcht und Schrecken, Eleos und Phobos.

Armin Laschet hat keine neuen digital optimierten Bilder von sich auf den Markt geworfen. Und doch könnte es sein, dass sich ein neues Bild von diesem Mann nach dieser Woche durchsetzt, im Kontrast zum bisher allzu netten und etwas teigigen Armin Laschet. Er mag ungelenk agieren in Interviews und nicht so pointiert reden wie Baerbock oder Söder. Er mag manchmal etwas dünnhäutig und unsouverän erscheinen in seinen Auftritten. Und doch muss man eine solche Woche erst einmal durchstehen, die mit einem Spiegel-Titel „Häuptling Wirdsonix“ (handwerklich ein grandioses Cover in Anlehnung an Asterix und dessen Gallier-Häuptling Majestix) und der vollen Breitseite von Markus Söder beginnt. Mehr noch: Nicht nur durchstehen und wegstecken. Sondern am Ende auch als Sieger daraus hervorzugehen.

Laschet hat viel von Helmut Kohl – der übrigens auch sehr dünnhäutig und rhetorisch eher ungelenk war. Nicht dessen Körperfülle und Statur. Aber dessen Steherqualitäten und die Gabe, einer Partei wieder ihre ursprüngliche Breite zu geben, die sie bei Kohl hatte und unter Merkel verloren hat. Vielleicht ist er eine Mischung aus Kohl und Berti Vogts – beide lange unterschätzt, aber der eine war 16 Jahre lang Kanzler, und der andere führte sein Team zur Europameisterschaft. „Die Mannschaft ist der Star“, lautete bekanntlich sein Motto.

Weitere Artikel dieser Ausgabe