In Wien verhandeln Russland und die USA über nukleare Abrüstung. Es sieht nicht gut aus.
In Wien verhandeln Russland und die USA über nukleare Abrüstung. Es sieht nicht gut aus.
Bye-bye, Multilateralismus, sagt Donald Trump, seit er am 20. Januar 2017 ins Weiße Haus einzog. Und das gilt aus seiner Sicht konsequenterweise in allen Bereichen: America First eben. Im Abrüstungsbereich steht am Montag bei Verhandlungen in Wien nun in Frage, ob der von Präsident Barack Obama und Präsident Wladimir Putin 2010 unterschriebene New START (Strategic Arms Reduction Treaty) verlängert werden kann oder am 5. Februar 2021 endet. Das ursprüngliche Abkommen stammt aus dem Jahr 1991.
Keine Frage, Europa wie die Welt brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist die Bipolarität einer größeren Vielfalt gewichen. In den vergangenen 30 Jahren kamen Indien, Israel und Pakistan als Nuklearstaaten dazu. Experten halten vor allem einen regionalen Konflikt zwischen Indien und Pakistan mit Nuklearwaffen für das gefährlichste Szenario. Zusätzlich wird ein Scheitern der Fortsetzung des New-Start-Abkommens zu einer neuen Runde des Wettrüstens weltweit führen, nicht nur zwischen den USA und Russland.
Nach Ausstieg aus dem Iran-Abkommen 2018 und der Kündigung des Open-Skies-Abkommens am 2. Mai 2020 bleiben nur noch New START, der im März 50 Jahre alt gewordene Nichtweiterverbreitungsvertrag für nukleares Material, von 191 Staaten unterschrieben und ratifiziert, sowie das Verbot von Atomtests übrig. Die Welt würde ein großes Stück unsicherer, wenn all diese Beschränkungen nach und nach wegfielen, wie Trump es vorzuhaben scheint. Die USA, wie auch Russland und China, investieren in die Modernisierung der Nuklearsprengköpfe. Unklar bleibt, was im Moment der Iran plant.
Wenn der Abrüstungsbeauftragte des US-Präsidenten Marshall Billingslea und der stellvertretende russische Außenminister Sergei Rjabkow sich am Montag treffen, könnte alles ganz einfach sein: Die beiden verständigen sich auf eine fünfjährige Verlängerung des Vertrages. Aber danach sieht es nicht aus.
Mittlerweile neun Staaten verfügen über Atomwaffen. Die meisten Sprengköpfe, nämlich #13400, sind im Besitz der USA (5800) und Russlands (6375) sowie Chinas (320) (Experten rechnen mit einer Verdoppelung in den nächsten zehn Jahren).
Zur Bekanntgabe des Treffens in Wien twitterte der US-Sonderbeauftragte Billingslea, man habe China zum Treffen eingeladen. Postwendend kam von dort eine Absage. Und der russische Verhandlungsführer Rjabkow erklärte, sein Land werde China nicht an den Tisch zwingen können.
Die Einstellung, China durch harte Verhandlungsführung an einem neuen Abrüstungspakt beteiligen zu können, stellt sich wieder einmal als falsch heraus. Der „große Dealmaker“ Trump dürfte auch an dieser Aufgabe scheitern. Es sei denn, er folgt den erfahrenen Militärs und Abrüstungsspezialisten, die alle die fünfjährige Verlängerung für äußerst sinnvoll halten. Doch wenn man den Einlassungen Billingsleas folgt, wird dieser Fall wohl nicht eintreten. Unlängst erklärte er im Radio: „Wir wissen, wie wir solche Wettrennen gewinnen können, und wir wissen, wie wir unsere Gegner in Vergessenheit geraten lassen können.“
Zu diesem Rezept gehörte offensichtlich auch die Überlegung im Weißen Haus, demnächst einen Nukleartest durchzuführen. Dieses „Zeichen der Stärke“ sollte wohl die Chinesen zur Teilnahme bewegen. Es wäre aber ein eklatanter Bruch des Atomteststopp-Abkommens aus dem Jahr 1963. Dem folgte 1996 der Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, von der Vollversammlung der UN angenommen und von 180 Nationen ratifiziert – nicht allerdings vom US-Senat, ebenso wenig von Indien, Nordkorea und Pakistan.
Trump hat schon in anderen Fällen eine Beteiligung Chinas an künftigen Abrüstungsabkommen gefordert. Grundsätzlich ist die Erweiterung bestehender Verträge um neue Nuklearstaaten sinnvoll. Doch bis zum Februar 2021 wird das kaum zu verhandeln sein, zumal China mit seinen bisher knapp 320 Sprengköpfen weit hinter den USA und Russland zurückliegt und zunächst „Augenhöhe“ herstellen will.
Umso wichtiger aber wäre ein Fortgelten des vorhandenen Vertrages zur Selbstbeschränkung der beiden Atomsupermächte Russland und USA: Der jetzige Vertrag beschränkt beide Seiten auf je 700 Interkontinentalraketen, 1550 nukleare Sprengköpfe, die auf Raketen, Flugzeugen und U-Booten stationiert sein dürfen, sowie 800 zusätzliche Flugzeuge, Raketen und U-Boot-Vorrichtungen, die mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden könnten. Außerdem ermöglicht der Vertrag pro Land jährlich 20 Inspektionen von militärischen Installationen der Gegenseite. Tatsächlich sind es in beiden Ländern etwas weniger als die oben dargestellten Zahlen. Dennoch bilden die vorhandenen Atomsprengköpfe ein furchtbares Arsenal der Vernichtung.