Auf dem Holzweg

Worauf es jetzt ankommt: Kapazitäten für synthetisches Gas und grünen Wasserstoff aufbauen. Die klimaneutralen Brennstoffe können Erdgas ersetzen

31
07
PICTURE ALLIANCE/JOCHEN ECKEL
Dampfmaschinen des 21. Jahrhunderts: In Salzgitter soll bald grüner Wasserstoff auf Basis von Strom aus Windkraft erzeugt werden.
31
07
PICTURE ALLIANCE/JOCHEN ECKEL
Dampfmaschinen des 21. Jahrhunderts: In Salzgitter soll bald grüner Wasserstoff auf Basis von Strom aus Windkraft erzeugt werden.

Auf dem Holzweg

Worauf es jetzt ankommt: Kapazitäten für synthetisches Gas und grünen Wasserstoff aufbauen. Die klimaneutralen Brennstoffe können Erdgas ersetzen

Erdgas ist ein Gruß aus einer fernen Vergangenheit: Mehrere hundert Millionen Jahre hat es gedauert, bis am Grund urzeitlicher Ozeane aus abgestorbener Biomasse der Brennstoff entstanden ist, mit dem wir heute Häuser heizen, Strom erzeugen und allerlei Industrieprodukte herstellen.

Doch es geht auch viel, viel schneller. Denn das Gas lässt sich ebenso auf künstlichem Wege herstellen, und das sehr rasch – aus Wasserstoff und Kohlenstoff, die in einer Raffinerie zu synthetischem Erdgas und allerlei anderen Brenn- und Kraftstoffen zusammengesetzt werden können. Das Verfahren hat aus zwei Gründen großen Charme: Zum einen kann es dazu beitragen, den Bedarf an Erdgas-Importen zu reduzieren. Und zum anderen sind die erzeugten Energieträger klimaneutral, sofern bei der Produktion grüner Wasserstoff verwendet wurde. Das Label „grün“ darf Wasserstoff tragen, wenn er mit Ökostrom erzeugt worden ist.

Könnte also synthetisches Erdgas einen Weg aus der gegenwärtigen Gaskrise weisen, mögliche Versorgungslücken schließen – und dabei auch noch das Klima schützen? Sicher nicht, da es dafür längst noch nicht genügend Produktionsanlagen gibt. Vor allem aber fehlt es an grünem Wasserstoff. Zwar hat die Bundesregierung seit dem russischen Überfall auf die Ukraine mit Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Katar Abkommen geschlossen, die neben der Versorgung mit Flüssiggas auch die Lieferung von Wasserstoff vorsieht. Bis größere Mengen davon nach Deutschland gelangen, werden aber noch einige Jahre vergehen. Denn schließlich müssen die Exportländer erst einmal die nötigen Erzeugungskapazitäten aufbauen. Als kurzfristiger Ausweg aus der Gaskrise bleibt also nur, den Verbrauch zu reduzieren – durch Einsparungen oder den Umstieg auf andere Energieträger.

Auf mittlere und längere Sicht sind grüner Wasserstoff und damit erzeugte Gase jedoch sehr wohl zentrale Hebel, um die Abhängigkeit vom Erdgas zu beenden. Auch wenn angesichts drohender Engpässe und der jüngsten Preisexplosion Politik und Wirtschaft derzeit fieberhaft nach Wegen suchen, Erdgas durch Kohle, Strom oder gar Öl zu ersetzen: Ganz lässt sich auf die Energie, die im Gas gespeichert ist, selbst langfristig nicht verzichten. Allen voran in der Industrie, mit einem Anteil von 31 Prozent der größte Verbrauchssektor in Deutschland. Die Unternehmen setzen heute große Mengen an Erdgas unter anderem für die Erzeugung von Prozesswärme ein, etwa um Glas und Keramik zu produzieren oder Metalle zu bearbeiten. Diese Aufgabe können auch grüner Wasserstoff oder synthetisches Erdgas übernehmen. Größter Verbraucher in der Industrie sind aber die Chemiebetriebe, die Erdgas vor allem als Rohstoff für ihre Erzeugnisse verwenden. Auch dort könnte stattdessen der synthetische Zwilling genutzt werden.

Genauso wird die Bundesrepublik im Stromsektor auf Gas angewiesen bleiben, dem geplanten Ausbau der Wind- und Solarenergie zum Trotz: Es müssen ausreichend Gaskraftwerke bereitstehen, die in die Bresche springen können, wenn einmal kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Experten des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI) haben ausgerechnet, dass die installierte Leistung von derzeit 31 Gigawatt bis 2030 auf insgesamt 53 Gigawatt steigen muss, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Damit dort keine fossilen Investitionsruinen entstehen, verknüpfen EU und Bundesregierung die Förderung neuer Anlagen allerdings mit der Vorgabe, sie so zu errichten, dass dort mittel- bis langfristig grüner Wasserstoff eingesetzt werden kann. Das macht Investitionen für die Versorger komplizierter, meint EWI-Experte Johannes Wagner. Und er weist noch auf ein weiteres Problem hin: „Wer jetzt ein neues Gaskraftwerk baut, muss sicher sein können, dass an dem Standort genügend grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen wird“, sagt Wagner. „Diese Gewissheit gibt es heute aber noch nicht.“ Damit besteht die Gefahr, dass bis 2030 nicht so viele Gaskraftwerke am Netz sein werden, wie für eine sichere Versorgung nötig sind – selbst wenn sich die Lage an den internationalen Erdgasmärkten eines Tages wieder entspannen sollte.

Vergleichsweise leicht lässt sich auf Erdgas dagegen im Gebäudesektor verzichten, auch ohne Zuhilfenahme von synthetischem Gas oder Wasserstoff. Die Bundesregierung hat dafür kürzlich den rechtlichen Rahmen gesetzt: Ab Anfang 2024 dürfen nur noch Heizungen eingebaut werden, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden, in Neubauten genauso wie in bestehenden Gebäuden. Zur neuen Standard-Heizungstechnologie werden strombetriebene Wärmepumpen, die im Neubau schon heute dominieren. Auch in vielen bestehenden Gebäuden lassen sie sich einsetzen. Ist das technisch nicht möglich, bleiben als Alternative vor allem Holzheizungen. Jedoch könnte es unter Umständen ein Schlupfloch für Gaskessel geben: Die Bundesregierung prüft derzeit, ob ihr Einbau erlaubt bleiben sollte, sofern sie mit synthetischem Erdgas oder grünem Wasserstoff betrieben werden. Das ist allerdings keine gute Idee, meint Matthias Deutsch, Programmleiter Wasserstoff bei der Denkfabrik Agora Energiewende. „Der Bedarf an grünem Wasserstoff wird für lange Zeit größer sein als das Angebot. Wir sollten ihn deshalb dort einsetzen, wo es mit Blick auf den Klimaschutz auf absehbare Zeit keine Alternativen gibt“, sagt der Experte. Dazu gehörten vor allem die Stahl- und Chemieindustrie, der Flug- und Schiffsverkehr sowie langfristig der Stromsektor, wenn Windräder und Photovoltaikanlagen witterungsbedingt längere Zeit keinen Strom liefern.

Weitere Artikel dieser Ausgabe