Auf dem Weg in den autonomen Krieg

Verharrungskräfte: Haben Drohnen den Konflikt in Bergkarabach entschieden?

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IMAGO IMAGES/MCPHOTO
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Auf dem Weg in den autonomen Krieg

Verharrungskräfte: Haben Drohnen den Konflikt in Bergkarabach entschieden?

Vierundvierzig Tage dauerte der Krieg in Bergkarabach. Die Auseinandersetzung endete mit einem Sieg Aserbaidschans, das mit dem von Moskau vermittelten Friedensabkommen strategische Teile Bergkarabachs erhielt. Über 4000 armenische Soldaten wurden getötet, Aserbaidschan beklagte den Tod von 2800 Soldaten. Zudem starben bis zu 100 Zivilisten auf beiden Seiten.

Die größte Aufmerksamkeit erregte allerdings die Nutzung von Drohnen. Vom „ersten Drohnenkrieg“ war die Rede. Die Bezeichnung ist zwar strittig, da Drohnen weltweit auf Schlachtfeldern zu finden sind, allerdings ist sie der besonderen Bedeutung der Waffengattung in dieser Auseinandersetzung angemessen.

Drohnen kamen eine besondere Bedeutung zu, da keine Seite über große Luftwaffen verfügen konnte. Insbesondere Aserbaidschan war jedoch in der Lage, Drohnen einzusetzen. In Arsenal befanden sich Überwachungsdrohnen, ferngesteuerte Flugzeuge, die Sensorik wie Video- und Fotokameras tragen. Aserbaidschan kaufte auch bewaffnete Drohnen von der Türkei, Systeme, die in ihren Eigenschaften denjenigen ähnlich sind, die das deutsche Verteidigungsministerium beschaffen möchte. Und schließlich setzte Aserbaidschan sogenannte „Kamikazedrohnen“ ein – von Israel hergestellte, äußerst umstrittene, hochautonome Systeme. Diese Kamikazedrohnen – englisch „loitering munition“ – werden in die Luft gebracht, verharren einige Zeit über dem Zielgebiet („loiter“) und, wenn sie ein Ziel erkannt haben, stürzen sie sich auf dieses und zerstören sich dabei selbst.

Mithilfe dieses Drohnenarsenals konnten Aserbaidschan armenische Positionen aufklären; die Stellungen wurden dann mit Artillerie beschossen, während bewaffneten Drohnen nachgelagerte Reserven angriffen und Unterstützungswege abschnitten. Diese Angriffe funktionierten selbst in den Berggebieten gut, die eigentlich den Verteidigern einen Vorteil bieten sollten.

Die armenischen Streitkräfte hatten Schwierigkeiten, die Drohnen abzuwehren, insbesondere die vergleichbar kleinen Kamikazedrohnen. Armeniens eigenproduzierte Drohnen waren den türkischen und israelischen Systemen unterlegen. Armenien machte Experten zufolge zudem taktische Fehler, ließ Positionen zu offen und bewegte sie zu selten. Die durchgehenden Angriffe aus der Luft wirkten demoralisierend.

Deutschland sollte im Kontext dieses Krieges drei Punkte zur Kenntnis nehmen: Erstens zeigt sich in Bergkarabach, wie weit die weltweite Drohnenproliferation vorangeschritten ist. Gegenwärtig besitzen etwa 100 Staaten militärische Überwachungsdrohnen und etwa 20 bewaffnete Drohnen. Während um 2000 nur die USA und Israel bewaffnete Drohnen bauten, verfügen heute Länder wie Pakistan, China, Frankreich – und eben Aserbaidschan – über bewaffnete Drohnen.

Dass solche Drohnen nun weltweit im Einsatz sind, ist auch für die deutsche Diskussion relevant, insofern argumentiert wird, Deutschland könne mit einer Entscheidung gegen die Beschaffung bewaffneter Drohnen eine Vorbildfunktion einnehmen und andere Länder davon abhalten, Drohnen zu beschaffen. Diese Annahme erscheint wenig überzeugend.

Zweitens ist die Rolle, die die Kamikazedrohnen gespielt haben, bedeutsam – und besorgniserregend. Diese Systeme sind in ihrem Automatisierungsgrad weit fortgeschritten, was der Sorge Vorschub leistet, dass Kriege autonomer werden könnten – eine gefährliche Entwicklung.

Schließlich hat Bergkarabach gezeigt, dass Streitkräfte stärker in Drohnenabwehr investieren müssen. Drohnen zu bekämpfen, ist zwar nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Da zu erwarten ist, dass Drohnen in allen zukünftigen Kriegen eine Rolle spielen werden, sollte auch die Bundeswehr noch stärker in Abwehrvorrichtungen investieren.

Haben Drohnen den Krieg in Bergkarabach entschieden? Eindeutig ist das nicht. Klar ist aber, dass Drohnen eine zentrale Rolle gespielt haben, eingebettet in gute Militärtaktik und hochgerüstete aserbaidschanische Streitkräfte. Deutschland sollte darauf mit eigenem Fähigkeitsaufbau reagieren, insbesondere im Bereich der Abwehr – und gleichzeitig die Verbreitung autonomer Waffensysteme politisch weiterhin begleiten und versuchen, diese zu begrenzen.

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