Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Die Volten des Turbo-Entrepreneurs Elon Musk sind zunehmend enervierend. Und das vor allem, weil sie über seine Tweets binnen Sekunden Milliarden schaffen oder vernichten. Wahrscheinlich gerade so, wie es dem derzeit reichsten Mann der Welt in sein betriebswirtschaftliches Kalkül passt. Man denke nur an seine Bitcoin-Einlassungen, die den Kurs der Kryptowährung regelmäßig nach oben oder nach unten jagen. Zuletzt wurde Twitter selbst zum Spielball seiner Launen. Zunächst der heimliche Ankauf von Aktien, dann ein Übernahmeangebot für 44 Milliarden Dollar, was dem Herrn inzwischen aber zu hoch erscheint. Mit einem weiteren Tweet schickte er die Aktie auf Talfahrt, um nun ein niedrigeres Angebot anzukündigen. Funktioniert doch!
Mit Twitter lassen sich nicht nur Kurse bewegen, sondern auch die Politik. Trumps Tweets gelangten zu weltpolitischer Bedeutung – logischerweise: Vier Jahre konnte er aus dem Weißen Haus, aber jenseits aller konventionellen Bahnen präsidialer Verlautbarungen stets das kommunizieren, was ihm seine Launen täglich so eingaben.
Die Wirkungsmacht von Twitter erstaunt, denn von der reinen Zahlenlage her nimmt sich die Kommunikationsplattform dürftig aus. Nur knapp 230 Millionen aktive Nutzer verwenden Twitter weltweit. Auf Instagram dagegen tummeln sich 1,2 Milliarden, auf Facebook täglich fast 2 Milliarden. Dazu ein Betriebsverlust von 493 Millionen Dollar im vergangenen Jahr. Worin also liegt die Macht von Twitter?
Am ehesten wohl darin, dass man sich auf Twitter nicht herumtreiben muss, um zu wissen, was dort los ist. Das besorgen die traditionellen Medien, Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Sie nehmen von den prominenten Usern binnen kürzester Zeit alles auf, was diese mittels 280 Zeichen absondern. Bei Trump oder Musk bleibt den konventionellen Medien auch gar nichts anderes übrig, weil beide nicht unbedingt traditionell kommunizieren, sondern sich die Deutungshoheit über ihr Tun und Handeln – dank Twitter – erhalten wollen. Twitter also hat medial höchst willfährige Verstärker. Das mag daran liegen, dass sich vor allem die Macht- und Meinungselite weltweit der Tweets bedient.
Und auch das hat einen Grund. Nach dem Prinzip der Würze in der Kürze kommen Tweets ihren Emittenten und Adressaten gleichermaßen entgegen, was an dieser Stelle anerkennend dem kongenialen Einfall des Plattform-Erfinders zuzuschreiben ist. Man muss nicht viel reden und erst recht nicht viel lesen. Man twittert, was man gerade denkt, oder erweckt zumindest den Eindruck der Spontanität, die sich bei der Verfolgung strategischer Ziele bestens für deren Verbrämung eignet. Spontan ist dann gar nichts mehr. Bei Trump schien das zwar kaum je der Fall, bei Musk dagegen umso mehr.
Genau das allerdings könnte irgendwann die Nutzer verprellen, die das Twitter-Spiel nicht als Macht-Tool missbraucht wissen wollen. Vor allem dann nicht, wenn der ach so liberale, selbst ernannte Verfechter der Meinungsfreiheit den Dienst übernimmt und ganz allein das Sagen hat. Wie lange die 230 Millionen User Twitter die Treue halten, kann auch ein Musk nicht wissen. Seine letzte Volte deutet darauf hin, dass er genau das begriffen haben könnte.