Ein etwas anderer Dialog der Kulturen. Zur Eröffnung des Humboldt Forums
Ein etwas anderer Dialog der Kulturen. Zur Eröffnung des Humboldt Forums
Das Urteil war streng, als diese Woche das Ethnologische Museum im Humboldt Forum mit einer Verspätung von einem Jahr nun endlich seine Türen öffnete. „Ein Symbol deutscher Herrschaft“, schreibt Der Spiegel nach einem ersten Besuch. Der Rezensent ist der Ansicht, dass nicht die Neugier, sondern das Misstrauen vorherrscht: „Jedes Objekt steht quasi unter Verdacht.“
Am Mittwochabend während der Eröffnung weiß sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für einen Augenblick nicht, wie er den Abend festlich beginnen lassen soll: „So, jetzt steht es hier“, lauten die ersten Worte seiner Rede: „Und nun?“ Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Denn: „Dieser Ort wirft im Augenblick noch mehr Fragen auf als er Antworten gibt, auch Fragen an unsere Nation. Halten wir das aus?“
Eine Geschichte über Schuld
Diese Verzweiflung steht in einem grellen Kontrast zu den Ereignissen acht Jahre zuvor, als der Wiederaufbau des Stadtschlosses in Angriff genommen wurde. Das Humboldt Forum, so klang es bei der Grundsteinlegung 2013 aus dem Mund von Klaus Wowereit, sei nichts weniger als eine „Botschaft an die Welt, wie Deutschland sich als weltoffenes Land versteht“. Die Gebrüder Humboldt repräsentieren beide „das Beste von Preußen“, wie Gründungsintendant Hermann Parzinger es formulierte, sie hätten es verstanden, dass „an einem solchen Ort afrikanische Kunst und Kultur gleichwertig der europäischen und den anderen“ präsentiert werden müssen.
Doch es kam anders. Die Eröffnung der ethnologischen Sammlung fällt mitten in die heftig geführte Diskussion um die koloniale Vergangenheit Deutschlands. Sogar Alexander von Humboldt, der nur wenige Jahre vorher noch als der neue „Vorzeigedeutsche“ gefeiert werden konnte, wie ihn Rüdiger Schaper in seiner Biographie bezeichnete, ist inzwischen aufgrund seiner für das 19. Jahrhundert typischen Denkweise zur umstrittenen Figur geworden. Was eine Repräsentation des „weltoffenen Deutschland“ werden sollte, entpuppte sich am Ende als eine Geschichte über Schuld. Berlin schien sich, mitten in seinem Zentrum, ein weiteres Problem geschaffen zu haben.
Identitätspolitik
Nur: Sind solche Diskussionen an diesem Ort überhaupt zu vermeiden? Für mich jedenfalls gehörten sie zu den Gründen, die mich vor einigen Jahren veranlasst haben, diesen Ort als roten Faden für mein Buch über die Suche der Deutschen nach ihrer Identität zu wählen. Der Schlossplatz war noch nie ein Ort des harmonischen Einvernehmens. In den vergangenen 150 Jahren war er immer wieder so etwas wie ein Seismograf der gesellschaftlichen Befindlichkeiten. Die Visionen der politischen Elite des Landes kommen dort in jeder Epoche genauso zum Ausdruck wie die Angriffe ihrer Widersacher.
Allen Diskussionen lagen letztlich gewichtige ideologische Sichtweisen auf die Identität des Landes zugrunde. In den 1990er-Jahren stritt das neue, wiedervereinigte Deutschland vor allem über die Erinnerung an Preußen. Um einiges dramatischer war 1950 die Sprengung des alten Stadtschlosses, eine Abrechnung der DDR mit dem „preußischen Militarismus“. Einige Jahrzehnte vorher ertönten vom Balkon des Stadtschlosses herab alles andere als friedliche Reden, am 1. August 1914 von Willem II., am 9. November 1918 von Karl Liebknecht – und noch viel früher hatte es die blutigen Berliner Barrikadenkämpfe von 1848 gegeben, nach denen Alexander von Humboldt auf dem Balkon trat und schweigend sein Haupt neigte.
Für die Seele?
Das Humboldt Forum wollte jedoch ein Ort der Harmonie sein. Als „das letzte Großprojekt der Merkel-Ära“ bezeichnet Der Spiegel das Gebäude. Es trifft zwar zu, dass der Plan zum Wiederaufbau des Stadtschlosses in den 1990er-Jahren in konservativen Kreisen entstand, aber es war ausgerechnet SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der beschloss, dass das Stadtschloss wiederaufgebaut werden solle. Schröder erklärte 1999, dass die neue Hauptstadt „dem Volke was für die Seele“ geben müsse, denn das könne „außerordentlich befriedend und damit auch befriedigend sein“.
Es war jedoch klar, dass die rot-grüne Mehrheit im Bundestag niemals nur für den Wiederaufbau eines alten kaiserlichen Palastes allein stimmen würde, deshalb wurde eifrig nach einem passenden Inhalt für das Gebäude gesucht. Klaus-Dieter Lehmann fand diesen 2002: Würde man die ethnologischen Sammlungen aus Dahlem ins Zentrum der Hauptstadt bringen, würden diese das Humboldt Forum „zum Ort der Weltkulturen“ machen. Das „Narrativ für das 21. Jahrhundert“, so formulierte es Lehmann, schien gefunden; der „Dialog der Kulturen“ war geboren.
Der Geist der Nuller-Jahre
Im Nachhinein erscheint das fast naiv, aber der Plan passte gut ins Deutschland der frühen 2000er-Jahre, Jahre, in denen Deutschland sich noch etwas ungewohnt als multikulturelles Land zu verstehen begann.
20 Jahre später ist die multikulturelle Gesellschaft aber nicht mehr nur eine Idee, sondern Realität. Und dieser Dialog der Kulturen bedeutet auch, dass die Minderheiten in Deutschland nicht mehr nur etwas sind, worüber geredet wird, sondern dass „Menschen mit Migrationshintergrund“ aktiv ihre Stimme erheben – gerade auch hinsichtlich der Deutung der Vergangenheit, die auch ihre eigene Vergangenheit ist.
Für die Museumswelt hat das Konsequenzen. In allen westeuropäischen Ländern mit einer kolonialen Vergangenheit sind in jüngster Zeit die Diskussionen über den Umgang mit dem kolonialen Kulturerbe erneut entbrannt, in Belgien im Königlichen Museum für Zentralafrika, in den Niederlanden im Tropenmuseum und in England im British Museum; über Restitutionen wird jetzt laut nachgedacht. Deutschland waren die Diskussionen lange Zeit erspart geblieben, auch weil viele Deutsche nicht einmal wussten, dass sie eine koloniale Vergangenheit hatten.
„Fantastisch und bedrängend zugleich“
Die ernsten Worte, die diese Woche geäußert wurden, fühlen sich wie eine schuldbewusste Aufholjagd an. In den vergangenen drei Jahren musste man sich an derartige Diskussionen gewöhnen, nicht ohne einen gewissen Schrecken; Skandale beherrschten die Nachrichten darüber. Aber dadurch wird ihr positiver Aspekt doch auch leicht übersehen. Denn es ist paradoxerweise auch dem Humboldt Forum zu verdanken, dass heute jede Feuilletonleserin in Deutschland über die koloniale Vergangenheit ihres Landes Bescheid weiß, zu der es jetzt ein neues Verhältnis aufzubauen gilt. Der Rezensent der Zeit zeigt sich bei seinem Besuch überwältigt von „wachsender Demut“ und „wachsender Scham“, doch seine Neugier wächst dabei in gleichem Maße wie sein Wissen: „Denn Saal um Saal will erwandert werden, die Ausstellung scheint kein Ende zu kennen, die schiere Menge ist fantastisch und bedrängend zugleich.“
Ist es damit zu Ende? Das Humboldt Forum unter dem Intendanten Hartmut Dorgerloh entschied sich dazu, nach allen Skandalen die Diskussionen über den Kolonialismus in die Ausstellung zu integrieren. Damit will es buchstäblich zum Ort des „Dialogs“ werden, selbst wenn dieser Dialog unangenehm werden könnte.
„Und nun?“, fragt Steinmeier. „Die Antwort ist: Und nun sind wir dran!“ Die Frage nach der deutschen Identität wird an diesem konfliktträchtigen Ort erneut gestellt. In der Mitte der Hauptstadt hat die neue Suche erst begonnen.
Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm