Aufraffen

Editorial des Verlegers

20
06
20
06

Aufraffen

Editorial des Verlegers

Liebe Leserinnen und Leser,

auch nach dem Parteitag der Grünen am vergangenen Wochenende beschäftigten sich zahlreiche deutsche Medien lieber mit Theaterkritiken. Taugt die grüne Kandidatin wirklich für eine Hauptrolle? Hat sie ihre Rede flüssig genug vorgetragen, wie sind ihre Versprecher zu werten? Und dann: Verbieten die Grünen zu viel? Oder haben sie nicht den Mut, mehr zu verbieten? Ebenso beliebt: Die Partei betreibt erst die ökosozialistische Deindustrialisierung Deutschlands, einen Tag später kuscheln sie schon wieder zu sehr mit der Chemie- und Stahlindustrie.

Ralph Diermann, eine Kapazität auf dem Gebiet der Energiethemen Strom, Wärme und Mobilität, lässt in seinem Beitrag für den Hauptstadtbrief am Sonntag den „Gesinnungsjournalismus“ beiseite und analysiert so sachlich wie bestimmt die Streitfragen in Sachen CO2-Abgabe. Er vergleicht die Vorschläge der Parteien auf ihre sozialen Auswirkungen, stellt die Kalkulationen den echten Kosten gegenüber, bei denen, was allzu gern vergessen wird, die ökologischen Folgewirkungen nicht herausgerechnet werden dürfen.

Keine Frage, man kann die Grünen ablehnen, andere Konzepte, Ideen und auch Weltanschauungen für besser, geeigneter halten. In einer ernsten politischen Debatte sollte dann aber auch auf krude Verzerrungen verzichtet und über tatsächliche Alternativen gesprochen werden – die zu formulieren sich so manche Partei erst noch aufraffen müsste. Interessanter wäre das allemal.

Über ein besonderes Experiment – eine Regierungskoalition bestehend aus acht Parteien, mit hinreichend unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen – berichtet unsere Israel-Korrespondentin Gisela Dachs. Die langjährige Zeit-Autorin, die inzwischen am European Forum der Hebräischen Universität Jerusalem lehrt, ist eine vorzügliche Kennerin der israelischen Innenpolitik und markiert immer wieder elegant die hintergründigen Motive und Ziele der Protagonisten in der Knesset.

Auch wenn sein Protagonist mit der Berufung zum Botschafter beim Vatikan streng genommen den Bannaskreis verlässt, versteht es unser Kolumnist Günter Bannas doch, die nicht unerhebliche Personalie Bernhard Kotsch in eben jenem politischen Kosmos zu verorten. Kotsch, lange im Kanzleramt einer der wichtigsten außenpolitischen Mitarbeiter der Kanzlerin, ist ein Name, den man sich im politischen Berlin wird merken müssen.

Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich bis zur nächsten Woche

Ihr Detlef Prinz

Weitere Artikel dieser Ausgabe