Aufwachen

Ausreden können nicht mehr gelten. Der Diktator in Moskau muss gestoppt werden

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Ausreden können nicht mehr gelten. Der Diktator in Moskau muss gestoppt werden

Was für ein Eklat! Der schroffe Umgang von Wladimir Selenskyj mit Bundespräsident Steinmeier war ein diplomatischer Fehler, keine Frage, aber dieser Fehler darf nicht zu einer beleidigten Haltung der deutschen Politik gegenüber der Ukraine führen. Wer sich in einem grausamen Krieg gegen einen faschistischen Aggressor und Mörder wie Wladimir Putin befindet, wer gegen die Auslöschung seines eigenen Landes und Volkes kämpft, wer tausende Tote der eigenen Bevölkerung zu beklagen hat, dem sollten wir Deutschen den diplomatischen Fauxpas verzeihen, zumal unsere Rolle vor und während des Krieges in der Ukraine mehr als diskussionswürdig ist.

Eines war der diplomatische Affront Selenskyjs allemal, nämlich wirkungsvoll, und er zeigt der Welt, in welch missliche Situation sich die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren, besonders aber in den vergangenen Wochen mit ihrer Russlandpolitik manövriert hat.

Zur Vergangenheit nur so viel: Nach der Wende 1989 setzten sich alle politischen Kräfte in diesem Land für die Einbindung und ein Zugehen auf Russland ein, auch und gerade die Union, erst mit Helmut Kohl und schließlich mit Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin setzte – zusammen mit dem sozialdemokratischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier – die Politik des SPD-Kanzlers und größten Putin-Freundes Gerhard Schröder fort.

Die mediale Unterstützung für diese neue Russlandpolitik war groß. Alle träumten vom gemeinsamen europäischen Haus. Der Einspruch der Deutschen nach dem russischen Einmarsch in Georgien 2008 und auf der Krim 2014 blieb daher eher zaghaft. Die vorherrschende Meinung war, man müsse Russland weiter einbinden – und mit Russland lukrative Geschäfte machen. Der Druck der deutschen Wirtschaft – allen voran ihres Ostausschusses – auf Bundeskanzlerin Merkel war heftig. Die Konsequenzen dieser Haltung bekommen Deutschland und die EU nun jeden Tag deutlich präsentiert.

Wieder sind alle Augen, besonders die in Europa, auf Deutschland und auf die Bundesregierung gerichtet. Nicht wenige Staaten hatten sich in dieser größten Krisensituation seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges von Deutschland eine führende Rolle – zusammen mit Frankreich – gewünscht. Doch bekommen haben sie Verzagtheit, Zerstrittenheit und einen Kanzler, der sein Führungsversprechen seit Beginn der Krise nicht eingelöst hat.

Olaf Scholz’ „Zeitenwende-Rede“ ist verpufft. Wenn nun der Grüne Anton Hofreiter öffentlich feststellt, das Problem liege im Kanzleramt, wird deutlich, wie zerstritten die Ampelregierung mit einem schwachen Kanzler in dieser gefährlichen Situation ist. Die Frage, ob Deutschland schwere Waffen an Kiew liefern soll, spaltet nicht nur Grüne und SPD, es spaltet auch die SPD selbst.

Deren Außenpolitiker Michael Roth fordert entsprechende Lieferungen nach einem Besuch in der Ukraine in dieser Woche vehement, der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hält dagegen. Die SPD hat ein veritables Problem.

Mit den bekanntgewordenen Gazprom-Verquickungen der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig zeichnet sich obendrein ein neues Personalproblem ab. Viel Arbeit für den neuen SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, zumal auch die FDP den Druck auf Scholz erhöht. Die Ampelkoalition steht vor einer Zerreißprobe. Ausgang ungewiss.

Die Deutschen spielen aus innenpolitischen Gründen wieder einmal eine Sonderrolle in Europa, assistiert von Österreich. Der Besuch deren Kanzlers Karl Nehammer hat den Kreml in keiner Weise beeindruckt. Der Einzige, der von diesen Unzulänglichkeiten bislang profitiert, ist der Kriegsverbrecher Putin.

Sicher, die Ukraine war viele Jahre ein nicht unproblematischer Staat, geführt im Vorder- und Hintergrund von Moskaugetreuen und Oligarchen, doch mit der Wahl von Präsident Wolodymyr Selenskyj begann der endgültige Freiheitskampf in Richtung Europa. Heute kämpft die Ukraine auch für die Freiheit von Teilen Europas, für Polen und die baltischen Staaten. Und für uns! Demnächst auch für Finnland?

Dort lauert eine weitere Eskalation. Schon droht Putins Vertrauter Dmitri Medwedew mit russischen Maßnahmen, sollte Finnland, wie auch Schweden, der Nato beitreten. Putin könnte im Sinne seiner großrussischen Geschichtsdeutung darauf hinweisen, dass Teile Finnlands einmal Bestandteil des russischen Reiches waren. Ganz Europa droht bei einem Sieg Putins in der Ukraine dann ein Dritter Weltkrieg.

Dies Szenario zu verhindern, gilt die ganze Anstrengung des deutschen Bundeskanzlers. Er hat in seinem Amtseid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Doch dieser Schaden wird eintreten, wenn der Westen, wenn die EU und Deutschland die Zerstörung der Ukraine nicht verhindern. Putin droht mit dem Einsatz kleiner Atomsprengköpfe, chemische Waffen hat er möglicherweise schon eingesetzt.

Dem Kriegsverbrecher Putin muss Europa daher mit noch härteren Maßnahmen begegnen, mit der Lieferung von Panzern und weiterem schweren Kriegsgerät. Und das zügig. Ausreden können nicht mehr gelten. Anders wird der Diktator in Moskau nicht mehr zu stoppen sein.

Es ist aus all diesen Gründen ebenfalls zwingend, dass sich Deutschland in seiner Sicherheitsstruktur neu aufstellt. Dieses Land benötigt einen Bundessicherheitsrat, in dem die besten und erfahrensten Fachleute aus Ministerien, den Bundestagsparteien, aus dem Militär und den Wissenschaften zusammenkommen. Es dürfen keine Neulinge in diesen Gremien sitzen, so wie jetzt im Verteidigungsausschuss.

Immer wieder wird jetzt auf die Kraft der Diplomatie verwiesen. Gerade jetzt dürfe der Gesprächsfaden nicht abreißen. Das ist auf der einen Seite richtig, auf der anderen Seite hat Diplomatie selten Kriege verhindern können, das gilt für die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts genauso wie für die Kriege der vergangenen Jahrzehnte auf dem Balkan, in Afghanistan oder Syrien.

Auf jeden Fall benötigt man jetzt starke, demokratisch gewählte Regierungschefinnen und -chefs in Europa, besonders bei den führenden europäischen Nationen wie Frankreich und Deutschland. Emmanuel Macron steckt jedoch im Wahlkampf, er hat die rechtsradikale Marine Le Pen im Nacken, und in Deutschland herrscht eine mit sich selbst in vielen Fragen ringende Ampelregierung mit einem Kanzler, der schweigt. Ein Kanzler, der stoisch wirkt, aber dabei die Bevölkerung nicht mitnimmt. Es ist sein Finanzminister von der FDP, Christian Lindner, der Freitagabend mal eben auf Twitter eine Militärhilfe von zwei Milliarden Euro für Partnerländer ankündigt, davon eine Milliarde für die Ukraine, damit sie schwere Waffen kaufen kann. Es bleibt die Frage, warum die Bundesregierung unter diesem Kanzler für eine solche Entscheidung so lange benötigt hat und diese dann mal eben so via Twitter kommuniziert? Olaf Scholz selbst bleibt derweil unsichtbar.

Es wird daher dringend Zeit, dass dieser Kanzler seine Politik in einer Fernsehansprache auf allen Kanälen erklärt. 20:15 Uhr wäre die beste Zeit dafür. Führung muss sichtbar sein in diesen gefährlichen Zeiten.

Gerhard Schröder und Angela Merkel haben diese Möglichkeit angesichts herausragender Ereignisse genutzt. Noch nie war der Anlass für eine Fernsehansprache eines Kanzlers so dringend notwendig wie jetzt. Scholzomaten sind nicht mehr gefragt.

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