Aussitzen reloaded

Postskriptum

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Aussitzen reloaded

Postskriptum

In zwei Wahlgängen wählte die SPD 2019 ein neues Vorsitzendenduo. Die Wahlbeteiligung lag jeweils bei etwas mehr als 50 Prozent, etwa die Hälfte der Parteimitglieder verzichtete darauf, sich für ein Kandidatenpaar zu entscheiden. Olaf Scholz, der gemeinsam mit Klara Geywitz antrat und als Favorit galt, verlor. Neue Parteivorsitzende wurden, mit tatkräftiger Unterstützung Kevin Kühnerts und der Jusos, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Innerhalb kürzester Zeit sorgte das Partei-Establishment jedoch für deren De-facto-Entmachtung. Der SPD-Vorsitz, der durch die häufigen Wechsel an der Spitze ohnehin an Bedeutung eingebüßt hatte, war mithin erkennbar noch weniger wert. In diesem Sinne folgerichtig wurde dann auch einer der Verlierer jener Wahl, Olaf Scholz, zum Kanzlerkandidaten ernannt – vom Parteivorstand, dem Hinterzimmer. Esken, Walter-Borjans und die Partei wurden im letztlich erfolgreichen Wahlkampf dann dafür gelobt – eher nicht gestört zu haben, etwa mit allzu konkreten Vorschlägen.

Die Union hat nicht nur die Wahl verloren, sondern erscheint in diesen Tagen geradezu erpicht darauf, die Fehler der SPD der vergangenen Jahrzehnte zu wiederholen. Der Kanzlerinnenwahlverein zeigte sich erst unfähig, einen effizienten bis schwungvollen Wahlkampf zu führen, will nun auf einmal eine Programmpartei werden, irgendwelche Profile schärfen und den neuen Vorsitzenden – eine Kandidatin ist nicht in Sicht – per Mitgliederentscheid wählen. Dieser soll dann auch noch einer sein, der die wunde Seele der Partei zu streicheln vermag, – auch so ein Bedürfnis, für das lange die SPD-Basis bekannt war.

Hat die CDU auf einmal all ihre Erfolgsrezepte dreier Deutschland prägender Kanzlerschaften vergessen? Verfallen Parteien nach großen Wahlniederlagen unabwendbar in unerquickliche Erbstreitereien, innerparteiliche Verteilungskämpfe, inhaltliche Orientierungslosigkeit – Oppositionsunlogik? Helmut Kohl ließ 1980 Franz Josef Strauß den Vortritt, Angela Merkel 2002 Edmund Stoiber die Wahl verlieren. Kohl und Merkel modernisierten die Partei aus der Mitte heraus, jenseits der Strömungen. Der kluge Kandidat, die kluge Kandidatin, wird sich im Dezember wohl eher nicht zur Wahl stellen.

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