Bilder des Schreckens

Gefährliche Eskalation der Gewalt in Nahost

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ZUMAPRESS.COM | AHMED ZAKOT
Gaza in Flammen: Israels Antwort auf den Raketenbeschuss
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Gaza in Flammen: Israels Antwort auf den Raketenbeschuss

Bilder des Schreckens

Gefährliche Eskalation der Gewalt in Nahost

Was mit Unruhen in Jerusalem anfing, mündete zu Anfang der Woche in einen militärischen Schlagabtausch zwischen Gaza und Israel. Die Regie führte dabei die Hamas mit einem eher ungewöhnlichen Ultimatum: Sollte Israel nicht bis Montag, 18 Uhr Ortszeit, alle seine Sicherheitskräfte rund um die Al-Aksa-Moschee abziehen, ebenso wie aus dem Viertel Sheikh Jarrah, würde man Ziele in Israel angreifen.

Es war kein leeres Versprechen. Kurz darauf explodierte die erste Rakete in einem Vorort von Jerusalem. Weit mehr als tausend folgten. Der Dauerbeschuss versetzte die israelische Bevölkerung in Angst und Schrecken. Die israelische Armee schlug auf ihre Weise zurück, griff im Gazastreifen gezielt militärische Infrastruktur, Abschussrampen an, nahm verantwortliche Islamisten ins Visier und ließ diesmal zur kollektiven Abschreckung auch einige vielstöckige Wohnhäuser, deren Bewohner vorher gewarnt wurden, wie Kartenhäuser zusammenfallen.

Die blutige Konfrontation erinnert an frühere Runden, aber dennoch ist diesmal einiges anders. So massiv war Tel Aviv, das in der Vergangenheit immer eine Art rote Linie darstellte, die es für den Gegner besser nicht zu überschreiten galt, noch nie beschossen worden. Die Raketenangriffe kamen vor allem nachts und gebündelt; das Abwehrsystem aber war auch durch technologische Verbesserungen der Geschosse herausgefordert. Kühner und präziser hat sich die Hamas bei ihren Angriffen gezeigt, einschließlich der Tatsache, dass sie sich damit erstmals direkt in innerisraelische Angelegenheiten eingemischt hat.

Normalerweise verstummt die Politik in Israel während solcher Waffengänge. Diesmal aber gibt es schon jetzt Fragen über Fragen. Dabei geht es um die heutigen militärischen Kapazitäten der Hamas, die den Gazastreifen in ein einziges Waffenlager verwandelt zu haben scheint, aber auch das Management der Krise. Wären die jüngsten Ereignisse in der Jerusalemer Altstadt rund und die geplante Räumung palästinensischer Anwohner zugunsten früherer jüdischer Besitzer in Sheikh Jarrah, zu verhindern gewesen wären? Musste die Polizei tatsächlich so harsch gegen die (mit Steinen bewaffneten) betenden Palästinenser vor der Al-Aksa-Moschee vorgehen? Und warum hat Regierungschef Benjamin Netanyahu erst im letzten Moment die israelische Flaggenparade am Jerusalemtag durch die Altstadt umgeleitet? Hätte man nicht voraussehen können, dass sich diesmal während der letzten Ramadan-Woche im Mai heilige Zeiten an heiligen Stätten auf ungewöhnliche Weise bündeln würden?

Weitsichtiger haben sich da womöglich die Islamisten erwiesen. „Nach unzähligen Protesten und Demonstrationen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir ohne Waffen unser Land nicht befreien, unsere heiligen Stätten nicht beschützen, unser Volk nicht in sein Land zurückbringen und unsere Würde nicht bewahren können“, so hatte es einer ihrer Anführer, Mahmoud al-Zahar, bereits Ende April angekündigt.

Jetzt kann sich die Hamas als Anführerin des Widerstands der Palästinenser inszenieren, die zuletzt besonders in der muslimischen Welt an Unterstützung verloren hatten. Mit ihrer Strategie als Verteidigerin Jerusalems hofft sie auf erneuten Zulauf.

Die Offensive gegenüber dem „zionistischen Feind“ lässt sich aber auch erklären in Zusammenhang mit der Entscheidung von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, die für den 22. Mai geplanten Wahlen abzusagen. Seine vorgeschobene Begründung lautete, Israel hätte den Wahlen in Ost-Jerusalem nicht zugestimmt. In Wirklichkeit aber trieb den zunehmend unpopulären Abbas, der zuletzt vor 16 Jahren durch eine Wahl legitimiert worden ist, die Sorge um, als Verlierer aus dem Urnengang hervorzugehen.

Die treibende Kraft der Proteste sind junge Palästinenser aus dem Westjordanland und Ost-Jerusalem, aber auch innerhalb Israels selbst. Sie alle sind unzufrieden mit ihren Verhältnissen und politischen Vertretern. Israels Annahme, diese Gruppen hätten sich mittlerweile so sehr voneinander entfernt, dass sie kaum mehr gemeinsam agieren würden, stellte sich als ein Irrtum heraus. Die Al-Aksa-Moschee bleibt ein einigendes Symbol, selbst wenn es – wie jetzt von der Hamas aus Gaza – ganz offensichtlich für politische Zwecke instrumentalisiert wird.

Palästinensische Israelis aber haben auch schon länger ein Problem mit krimineller Gewalt in ihren eigenen Reihen. Deren Bekämpfung und vor allem die Konfiszierung illegaler Waffen stand ganz oben auf der Prioritätenlisten arabischer Parteien im jüngsten Wahlkampf. Denn die Polizei mischte sich bisher eher ungern in „innerarabische Angelegenheiten“ ein. Das Versäumnis macht sich nun aber andernorts bemerkbar.

Denn jetzt drohen die gewalttätigen Ausschreitungen krimineller und radikaler Muslime das soziale Gefüge in gemischten Städten Israels, die bisher für eine friedliche Koexistenz gestanden haben, dauerhaft zu beschädigen. Dabei gehen auch jüdische Extremisten auf Araber los.

Von dort scheint es nicht mehr weit zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg, wie er in den sozialen Medien bereits in vollem Gange ist. Schon vor einigen Wochen haben Filmchen, die auf TikTok verbreitet wurden, die Gewalt angeheizt. Die kurzen Szenen zeigen, wie palästinensische Jugendliche in Jerusalem handgreiflich auf gleichaltrige Ultraorthodoxe losgehen. Das wiederum lieferte jüdischen Extremisten, die seit der vergangenen Wahl Vertreter in der Knesset haben, den Vorwand, mit Parolen wie „Tod den Arabern!“ durch die Altstadt zu ziehen und selbst Araber anzugreifen.

Noch nie haben Bilder, die vor Ort und auch im Ausland vielfach geteilt werden, eine so gefährliche und polarisierende Rolle gespielt. Sie verzerren aber auch das Gesamtbild, weil die moderaten Stimmen, die es auch gibt, dort nicht vorkommen.

Wie geht es nun weiter, wenn die Kampfhandlungen zwischen Israel und Gaza früher oder später wieder eingestellt sein werden? In Israel verhandelt man derzeit über eine neue politische Zukunft. Ministerpräsident Netanyahu, der wegen Korruption vor Gericht steht und es nach den jüngsten vierten Neuwahlen nicht geschafft hat, eine Regierung zu bilden, hat die Unruhen nicht provoziert, aber er hat zu spät reagiert, als die Dinge zu eskalieren drohten. Sein Herausforderer Yair Lapid, der derzeit mit der Regierungsbildung beauftragt ist und es fast geschafft hätte, schreibt auf seiner Facebook-Seite, die jüngsten Ereignisse könnten „keine Ausrede sein, um Netanyahu und seine Regierung an der Macht zu lassen“.

Erwartungsgemäß aber haben sich nun die Gegensätze in der heterogenen Anti-Netanyahu-Front verstärkt, die sich mit auf die Stimmen arabischer Abgeordneter stützen müsste. Fünfte Neuwahlen sind eine realistische Option.

Doch auch für viele Israelis, die den großen Polarisierer Netanyahu noch nie oder schon lange nicht mehr wollen und darauf drängen, dass sich eine neue Führung endlich wieder der beiseitegeschobenen Palästinenserfrage annimmt, wird nach dieser Runde ein bitterer Nachgeschmack bleiben. Denn dass es der Hamas gelungen ist, die inneren Unruhen in Israel so „erfolgreich“ anzufachen und damit Einfluss zu nehmen auf interne Angelegenheiten, hat ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft der palästinensisch-israelischen Beziehungen erst einmal einen Dämpfer gegeben.

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