Über die fortschreitende Rassismus-Debatte in Deutschland
Über die fortschreitende Rassismus-Debatte in Deutschland
Am 25. Mai 2020 wurde der Afroamerikaner George Floyd von einem weißen Polizisten ermordet, in den darauffolgenden Wochen begannen Solidaritätsbekundungen auf der ganzen Welt. Es wurde für Schwarze Menschen demonstriert und über Rassismus gesprochen – auch in Deutschland. Doch wie sieht die Situation inzwischen aus? Hat sich wirklich etwas verändert oder wurde rein performativ „Black Lives Matter“ gerufen und am 2. Juni 2020, dem BlackoutTuesday, in sozialen Medien die Bildschirme geschwärzt?
Ein Blick auf die darauffolgenden Ereignisse in Deutschland spricht eine klare Sprache:
Im Juli wurden Überlegungen zu einer Studie zu Racial Profiling in der Polizei von Bundesinnenminister Horst Seehofer abgelehnt. Er sagte im ARD-Morgenmagazin hierzu: „Wir haben kein strukturelles Problem diesbezüglich.“ Für einen Weißen Mann, der nicht von den Problemen des strukturellen Rassismus betroffen ist, ist dies leicht zu sagen, da es in dieser Position ein Privileg ist, sich aussuchen zu können, ob man sich mit der Thematik beschäftigt oder nicht. Für People of Color in Deutschland war dies nur die erste von vielen weiteren herben Enttäuschungen nach den Protesten im Land.
Denn nur wenige Wochen später wurde im August bekannt gegeben, dass sich Polizistinnen und Polizisten aus Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern in Whatsapp-Gruppen über rechtsextreme Inhalte austauschen. Für afrodeutsche Menschen, die bereits allzu oft rassistische Beleidigungen und Racial Profiling durch die Polizei erleiden mussten, ist diese Meldung nun wirklich keine Überraschung mehr. Und wieder wurden Stimmen zur Untersuchung rechtsradikaler Strukturen in der Polizei laut. Doch lehnte der Bundesinnenminister diese Forderungen erneut ab. Währenddessen häufen sich die Berichte anonymer Polizeibeamter und Auszubildender, die aus erster Hand von eben jenen rassistischen Denkweisen im System und entsprechenden Vorfällen berichten können.
Ich frage mich: Wie offensichtlich soll es denn noch werden, bevor etwas passiert? Diese Verweigerungen sind blanker Hohn und Spott! Die Bedürfnisse nicht-weißer Menschen in Deutschland werden erneut abgetan und als minderwertig angesehen, da sie offensichtlich von weißen Entscheidungsträgerinnen und -trägern nicht ernst genommen werden. Dabei ist es ein Leichtes, unzählige Berichte von rassistischen Übergriffen der Polizei zu erhalten. So veröffentlichte am 27. Mai 2020 der afrodeutsche Podcast „Kinboy Talks“ gemeinsam mit den ebenfalls Schwarzen Podcast-Kollegen des „Redlektion“-Podcast die Folge „Kennst du deine Rechte? Was darf die Polizei und was darf sie nicht?“ über Polizeigewalt in Deutschland, die auf Spotify kostenlos zugänglich ist. Am 5. Juni 2020 veröffentlichte auch der bekannte „Kanackische Welle“-Podcast eine Folge zum Thema („Polizeigewalt & Racial Profiling in Deutschland“). Auch auf YouTube gibt es viele gute und kluge Videos zum Thema.
Doch damit nicht genug: In der Folge „Hart aber Fair“ vom 5. Oktober zum Thema Sprache werden rassistische Begriffe für Schwarze Menschen im öffentlichen Fernsehen laut ausgesprochen und erneut gefragt, was so schlimm an ihnen sein soll. Wer sich nach den Black-Lives-Matter-Bewegungen ausführlich und intensiv mit den Inhalten und Problematiken von strukturellem Rassismus befasst hat, stellt solche Fragen nicht mehr.
Nur drei Tage später folgt in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ dann der nächste herbe Schlag: Die rassistische Übersetzerin Tina Chittom äußert vor laufender Kamera ihre Überlegungen zur Eugenik – ob Kriminalität bei Schwarzen Menschen nicht auch genetisch bedingt sein könnte. Diese veralteten und menschenverachtenden kolonialrassistischen Ansichten sind schlichtweg falsch, da sie in erster Linie zur Legitimierung von Imperialismus und Kolonialisierung erschaffen wurden.
Es stellt sich also die Frage, warum im Jahre 2020 eine Person mit solchen Ansichten ins öffentliche Fernsehen eingeladen wird. Eine Redakteurin der Nachrichtenseite watson.de stellte dem ZDF genau diese Frage und erhielt folgende Antwort:
„Die Gäste für die Sendung ‚Markus Lanz‘ werden nach redaktionellen Gesichtspunkten passend zum jeweiligen Thema ausgewählt. Zum redaktionellen Selbstverständnis gehört es, ein umfassendes Bild der Gesellschaft abzubilden. Dazu gehören auch Vertreter von politischen Richtungen und Meinungen, die nicht mehrheitstauglich sind.“
Die mediale Empörung war erneut groß, und viele Schwarze Menschen fragen sich zu Recht, warum sie für solche Inhalte die Rundfunkgebühr zahlen müssen. Eine Trump unterstützende Rassistin darf bei „Markus Lanz“ sprechen, aber Antirassismus-Expertinnen und -experten, die selbst betroffen sind, habe ich in diesem Diskurs noch in keiner einzigen Talkshow gesehen. Mein Appell lautet: Hört Betroffenen aufmerksam zu, und nehmt ihre Anliegen ernst!
All diese und viele weitere Beispiele zeigen deutlich auf, wie tief struktureller Rassismus in unserer Gesellschaft verankert ist. Er sitzt sogar so tief, dass viele ihn oberflächlich gar nicht bemerken und denken, es gäbe ihn gar nicht mehr oder sie wären frei davon. Deshalb ist es nach wie vor wichtig, sich darüber zu informieren und Bildungsangebote von Betroffenen hierzu wahrzunehmen. Auch und vor allem sollten diese Bildungsangebote verpflichtend für politische Entscheidungsträgerinnen und -träger sein, sodass Antirassismus endlich in konkrete Handlungen umgesetzt werden kann.
Die mediale Aufmerksamkeit der Black-Lives-Matter-Proteste war gut und wichtig. Aber wirkliche Veränderungen im System und im Gespräch mit den Menschen auf der Straße gibt es noch nicht. Antirassistische Bildung und Aufklärung sind essentiell, sie stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den ersten drei Artikeln des Grundgesetztes. Es bleibt ein langer Weg bis zu ihrer vollen Verwirklichung.