Deutsche Szene: Sprache im technischen Zeitalter reloaded
Deutsche Szene: Sprache im technischen Zeitalter reloaded
„Von drauß’ vom Walde komm’ ich her –
Ich muss Euch sagen: Es graust mich sehr.
Allüberall in Regierungsspitzen
Seh’ ich Sprachverhunzer sitzen.“
Nicht doch, alder Santa. Du bist so 19. Jahrhundert. Du Opfer. Das sind keine Sprachverhunzer, die sind mittendrin. Überall. Stylishe, woke Typen. Keine weißbärtigen rotberockten Zausel wie Du. Politik, Wirtschaft, Familie – das ist keine Retro-Party. Wattebart war gestern.
Am besten, Du machst Dich mit ein paar (für Dich) neuen Redewendungen locker, sonst wird die Kundschaft renitent und schickt Dich Voll-Horst mit Retouren-Schein (60 Tage kostenloser Umtausch möglich wegen Pandemie) zurück an die Rent-a-Santa-Zentrale. Täte mir leid, wäre cringe, Dich so ablosen zu sehen.
Fangen wir ganz simpel an: Du klingelst bei der Familie, die Dich geordert hat, es öffnet der Vater, Du adressierst ihn. Wie jetzt? Du adressierst ausschließlich Briefe? Mag schon sein, dass der Duden (unehelicher Urgroßcousin zweiten Grades von Wikipedia) behauptet, adressieren bedeute „mit einer Adresse versehen, z.B. einen Brief adressieren“. Du aber adressierst gefälligst die Familie, die Dich bezahlt, mit einem Eisbrecher-Spruch, der auch und gerade den Nachwuchs begeistert, zum Beispiel: „Na, alle wieder gut aufgestellt heute?“
Die Aufstellung ist gerade Gott. War es früher, als Du jünger warst, Trainersache, die Mannschaft möglichst gut aufzustellen, sind heute alle sowas von gut aufgestellt: Parteien, Kosmetikmarken, Pfarrgemeinderäte, Stabhochspringerinnen, Wurstbuden. Kräht ein Politiker ins Mikro, sein Fähnlein Fieselschweif sei in jeder Beziehung gut aufgestellt, ist höchste Vorsicht geboten: Ob das sein Trainer – oder die Trainerin – weiß? Ob die Aufgestellten bereits davon erfahren haben? In den alten Zeiten, beim Mannschaftssport, führte unzureichend durchdachte Aufstellung gern zu Beinchenstellen – aber das ist ein anderes, absolut nicht weihnachtsmannkompatibles Thema.
Soll Dein Auftritt bei der festlich-weihnachtlich gestimmten Familie glücken, Santa, brauchst du nach fulminanter Begrüßung vor allem eins: ein Narrativ. Ohne Narrativ geht’s schief. Du wirst einwenden, das müsstest Du Dir gar nicht erst draufschaffen, schließlich seist Du seit Jahrhunderten (!) anerkannter Marktführer im Geschichtenerzählen (narrare = erzählen, wie der Lateiner sagt). Das ist geradezu candy-naiv. Keiner will nämlich noch was hören von Tannenspitzen, Lichtlein, Ruten, Jutesäcken sowie Deinen Wart-Ihr-auch-alle-brav-Geschichten. Du brauchst ein supidupi Narrativ. So wie Europa ein neues Narrativ braucht, der Grüne Punkt ebenfalls, der Junggesellen-Abschied und – nicht zu vergessen – Donald Trump. Hierzulande steigt das Narrativ seit den frühen 2000ern unaufhaltsam auf. Der jüngere Steinbrück im ersten Kabinett MerkeI war geradezu ein Karriere-Booster für das Narrativ. Dir rate ich, die Familie Gender- und LGBTQ-sensibel anzutexten und bewusst zu adressieren: Kind, Kind, Vater und Mutter solltest Du als Worte umschiffen, vielleicht durch „Sorgetragende“ ersetzen. Dann wird’s schon klappen. In peinliche rassistische etc. Fallen wirst Du ohnehin nicht mehr tappen können: Knecht Ruprecht verbringt die passive Phase seiner Altersteilzeit in Mittweida, und die Regierung der Niederlande hat beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag nachweisen können, dass der letzte noch lebende Sinterklaas nunmehr als 450-Euro-Kraft in der Heckenpflege des Amsterdamer Vondelparks segensreich wirkt.
Ich bin ganz bei Dir (Lieblingsformulierung im Politsprech zu Parteifreunden, die gerade Voll-Stuss vortragen): Du wirst performen. Deine jahrhundertelange Erfahrung ist der deal breaker. Da soll erst mal jemand mehr bieten. Der damals noch werdende Bundeskanzler Olaf Scholz hat Dir (ohne es zu ahnen) bereits am 25. November Recht gegeben, Tage vor Deiner Hoch-Stressphase. Er sagte wörtlich: „Auf das Doing kommt es an.“ Wie jetzt? „Doing, doing“, wenn Goofy mal wieder auf die Nase fällt und es vernehmlich scheppert, oder – „doing, doing“- wenn Daniel Düsentrieb zu schnell eine Straße überquert und ein Fahrzeug touchiert? Nein, gemeint ist natürlich, was der Jetzt-Kanzler korrekt lautschriftlich so darstellen würde: [du:in], also: Duuuuing – zu Deutsch: das Tun. Darauf kommt es an – wären wir jetzt nicht draufgekommen. So scholzt es sich eben. Bis in den Weihnachtsmann-Alltag hinein. Du aber bist lernfähig, Weißbart. Dir ist klar, dass am Ende des days (nein, so lange musst Du nicht bei ein und derselben Familie ausharren) der outcome stimmen muss. Dein outcome wird grandios sein, sure. Du bist nämlich hervorragend positioniert – über alles. Lass’ Dir bitte von niemandem einreden, Du solltest die Kundschaft (hier: die erwartungsfrohe Festfamilie) unbedingt mitnehmen. Wäre schlimm. Die fühlten sich dann nämlich so mitgenommen. Wollen wir nicht. Außerdem ist Dein Sack dafür viel zu klein.
Mach’ es gut, alter Mann. Rot-Weiß ist future. Du bist ganz weit vorn mit Deiner Show. Wir sehen uns. Und zwar ASAP.