Nato und die Europäische Union können sich auf Deutschland verlassen
Nato und die Europäische Union können sich auf Deutschland verlassen
Seit mehr als einem Jahrzehnt bewegt sich der strategische Schwerpunkt der Weltpolitik kontinuierlich nach Asien. Und doch steht bei der Münchener Sicherheitskonferenz an diesem Wochenende wieder Europa im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Es ist ungewiss, ob nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Krieg in Donezk und Luhansk der nächste Ausgriff Russlands Richtung Ukraine bevorsteht. Doch die Drohkulisse, die man in Moskau mittels einer massiven Truppenpräsenz in Grenznähe und überzogenen diplomatischen Forderungen aufgebaut hat, erinnert uns daran, wie zerbrechlich europäische Sicherheit ist. Frieden in Europa ist kein „done deal“, keine erledigte Aufgabe, sondern muss immer wieder aufs Neue von uns errungen werden. Das erfordert wehrhafte Wachsamkeit, Geschlossenheit der Alliierten, hohe Investitionen und beständige Diplomatie, um Vertrauen zu stärken und Konflikte zu entschärfen.
In dieser Lage findet sich auch Deutschland wieder im Zentrum der sicherheitspolitischen Debatte. Das ist keine Überraschung. Seine geografische Lage, seine politische Bedeutung, seine ökonomische Kraft machen Deutschland zu einem gewichtigen Akteur. Der neuen Bundesregierung, der ich angehöre, ist das sehr bewusst. Wir wissen, welche Verantwortung wir tragen, und wir wissen, wie sehr man auf Entscheidungen aus Berlin schaut.
Deutschland hat in Nato und EU immer gezeigt, dass man sich auf seine Zusagen und seine Bündnissolidarität voll verlassen kann. So auch heute, angesichts der aktuellen Lage an der Nato Ostflanke. Das betrifft nicht nur die Diplomatie, die sich mit großem Einsatz um Frieden und Vertrauen bemüht, so wie aktuell im Normandie-Format. Das gilt auch für die Bundeswehr: bei der enhanced Forward Presence (eFP) in Litauen, wo wir noch mal unsere Kräfte verstärken. Und auch in der NRF, wo wir zur glaubwürdigen Bündnisverteidigung und schnellem Krisenmanagement bereitstehen und uns derzeit intensiv auf unsere Aufgaben in der VJTF im kommenden Jahr vorbereiten. Wir glauben an Dialog und Verhandlungen. Aber wir glauben auch an Stärke und Standfestigkeit, damit Diplomatie gelingen kann. Deutschland kann beides und ist mit beidem dort zur Stelle, wo es gebraucht wird.
Wir stehen fest zu den fundamentalen Prinzipien des Friedens und der Freiheit auf unserem Kontinent, von der staatlichen Souveränität über die Unverletzlichkeit der Grenzen bis hin zur Bündnisfreiheit. Wir sind darauf vorbereitet, weitreichende Konsequenzen zu ziehen, wenn diese Prinzipien angegriffen werden. Und wir werden entschlossen dazu beitragen, diesen Prinzipien nachhaltig Geltung zu verschaffen. Sicherheit ist eine Zukunftsaufgabe. Es geht nicht nur um die Krisendiplomatie heute. Es geht darum, dass auch unsere Kinder und kommende Generation Freiheit und Frieden genießen können, die uns heute selbstverständlich erscheinen. Wir müssen jetzt mit Investitionen in die Sicherheit unseres Kontinents einzahlen auf das gute, freie, friedliche Leben der uns nachfolgenden Generationen.
In der Bundeswehr sind wir mit Hochdruck dabei, diese notwendigen Investitionen zu tätigen. Wir wollen die deutschen Streitkräfte fit machen für die Bedrohungen der Zukunft. Wir beschaffen moderne Systeme, um unsere Kampfkraft zu erhöhen und unsere Rolle als Anlehnungspartner in der Nato zu festigen. Die jetzt anstehende Nachfolge für das Kampflugzeug Tornado ist dafür ebenso Beispiel wie die Beschaffung bewaffneter Drohnen und das Gemeinschaftsprojekt Eurodrohne für die Bundeswehr. Deutschlands Verteidigungshaushalt ist zwischen 2014 und 2021 um 45 Prozent angestiegen. Für das laufende Jahr 2022 gibt es noch einmal eine beträchtliche Summe zusätzlich. Ich setze mich dafür ein, dass sich dieser Trend auch in den kommenden Jahren fortsetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz weiß ich dabei an meiner Seite. Zählt man all das zusammen, wird deutlich: wir bauen Streitkräfte, die einsatzbereit sind, auf die wir uns verlassen können, und die auch langfristig unsere Sicherheit garantieren.
Auch konzeptionell wird sich Deutschland deutlich positionieren. Bis zum Jahresende werden wir die sicherheitspolitische Rolle unseres Landes erstmals in einer nationalen Sicherheitsstrategie festschreiben. Hierbei sind zwei Grundüberlegungen für uns entscheidend: Erstens müssen wir den vernetzten Ansatz, also eine breit integrierte Sicherheitspolitik über alle Handlungsfelder, konzeptionell in die neue Zeit bringen. Eine Zeit globaler Machtverschiebungen, neuer Bedrohungen und technologischer Quantensprünge. Eine Zeit, in der Klimawandel, Entwicklung und Welthandel ebenso zur Sicherheit gehören wie Migration, Frauenrechte und sozialer Ausgleich.
Zweitens werden wir unsere nationale Sicherheitsstrategie eng mit dem neuen Strategischen Konzept der Nato und dem Strategischen Kompass der EU verzahnen. Denn europäische Sicherheit und Deutschlands Beitrag dazu müssen aus einem Guss sein. Dabei werden wir auch die Erfahrungen aus den gemeinsamen Einsätzen der vergangenen Jahre systematisch in unsere neue Strategie einbeziehen. Zu unserer Verantwortung für den Frieden und die Freiheit in Europa und der Welt gehört es eben auch, selbstkritisch zu sein. Wir sind es uns selbst und unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig, auch die teils bitteren Enttäuschungen aus zwei Jahrzehnten Nato-Einsatz in Afghanistan auszuwerten und als Lessons Learned zu berücksichtigen. Hier stehen wir noch am Anfang, haben aber bereits eine erste wichtige Konsequenz gezogen. Künftig werden alle Auslandseinsätze der Bundeswehr regelmäßig evaluiert und neu kalibriert. Wenn wir Menschen in den Einsatz schicken, müssen sie darauf vertrauen können, dass ihr Einsatz sinnvoll ist und ihr Engagement zum Ziel führt. Das gilt für unser wichtiges Engagement im Sahel genauso wie für Beratungs- und Ausbildungsmissionen im Nahen Osten oder unsere Einsätze auf hoher See. Diese Evaluierungen werden wir selbstverständlich immer in enger Abstimmung mit unseren Partnern und Alliierten durchführen.
Diese Kultur der Partnerschaft demonstriert auch Defender 2022, ein großangelegter Zyklus von Nato-Übungen in Europa, der in diesem Jahr fast zeitgleich mit der Münchener Sicherheitskonferenz beginnt. Für Defender 2022 werden mehr als 13.000 amerikanische Soldaten bis Juni in Europa gemeinsamen mit ihren Kameradinnen und Kameraden aus der gesamten Nato zeigen, was Bündnissolidarität ganz konkret bedeutet. Deutschland ist stolz darauf, dabei sowohl Teilnehmer als auch zentrale Drehscheibe für die militärische Mobilität im Bündnisgebiet zu sein.
Deutschland als Kraftverstärker und Wegbereiter einer auf Verteidigung ausgerichteten Übung, die Solidarität demonstriert und wirksam abschreckt – das ist das Sinnbild für die Rolle, die wir spielen wollen und werden. Und es zeigt das sicherheitspolitische Programm der neuen Bundesregierung: Deutschland steht auch in Zukunft fest und unverrückbar im Bündnis, bleibt Partner und Alliierter, Rahmennation und führender Kompetenzträger in Sachen Sicherheit.