Editorial des Verlegers
Editorial des Verlegers
Liebe Leserinnen und Leser,
macht sich die Linkspartei, die an diesem Wochenende ihren Parteitag abhält und sich ein neues Führungsduo zulegt, bereit für eine Koalition mit SPD und Grünen – ganz gleich unter welcher Führung?
Nicht so schnell, ruft Christoph Schwennicke in dieser Ausgabe des Hauptstadtbriefs am Samstag und erklärt R2G – wie die Konstellation, um ein Paar Pixel zu sparen, auch genannt wird – zu einer Chimäre.
Schwennicke, bis vor wenigen Wochen Chefredakteur und Verleger des Polit-Magazins Cicero, rechnet den Parteien ihre politischen und strategischen Fehlkalkulationen mit eleganter Angriffslust vor – und fragt, ob es nicht noch eine Partei geben könnte, die bisher so kaum je jemand auf der Rechnung hatte.
In den vergangenen vier Jahren unter dem inzwischen abgewählten US-Präsidenten war es ein running gag, den der fabelhafte Brian Williams in der Nachrichtensendung The 11th Hour immer mit beißendem Spott aufspießte: Wann immer die Trump-Regierung eine besonders peinliche Fehlleistung beging, versuchte seine Pressesprecherin Kayleigh McEnany damit abzulenken, dass die kommende Woche infrastructure week sei, in der laufend große Projekte angekündigt werden sollten – die dann aber nie zustande kamen.
Derzeit findet in Deutschland aber tatsächlich so etwas wie eine Infrastruktur-Debatte statt. Es geht um den Wandel der Innenstädte, der schon vor Corona im Gang war, die ökologisch bedenklichen Auswirkungen der Eigenheim-Neubauten auf dem Land und natürlich den Evergreen und Zankapfel schlechthin, die Rolle des Autos und andere Mobilitätsfragen.
Nikolaus Bernau hat uns für den Hauptstadtbrief ein so gelehrtes wie bestechendes Feuilleton gesandt, in dem er jene aktuelle Debatte über diese großen städtebaulichen Fragen – tatsächlich: wie wir morgen leben, arbeiten, und wohnen werden – pandemiehistorisch aufrollt, mit frappanten und sozialpolitisch kaum zu überschätzenden Erkenntnissen.
Bernau sucht als so gewitzter wie kenntnisreicher Architekturkritiker in Deutschland seinesgleichen – und seinem Beitrag kann man kaum genügend Leserinnen und Leser wünschen.
Inge Kloepfer schreibt in ihrer heutigen Kolumne Auf den zweiten Blick über einige Ungereimtheiten in der akuten Bekämpfung der Pandemie.
Kloepfer, die im Hauptstadtbrief immer wieder mit ihren klugen Revisionen so einiger gesellschaftlich übereilt eingenommenen Sichtweisen verblüfft, ist aber nicht nur eine exzellente Autorin, sondern auch eine herausragende Filmemacherin.
Am 1. März läuft in der ARD ihre Reportage über den deutschen Atomausstieg in Folge der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011.
Kloepfers Film, in dem entscheidende Protagonistinnen und Protagonisten jener Tage zu Wort kommen, erzählt die ungeheuer spannende Geschichte aus dem März vor zehn Jahren.
Sendetermin: am Montag um 23:35 Uhr. (Nebenbei die kleine Frage an die ARD: Könnte man solch besondere Produktionen nicht einfach auch mal um 20:15 Uhr ausstrahlen? Immerhin gibt es ja die Mediathek.)
Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich – bis morgen
Ihr Detlef Prinz