Citoyenne

Editorial des Verlegers

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Citoyenne

Editorial des Verlegers

Liebe Leserinnen und Leser,

es gibt nicht wenige Sätze Güner Balcis, die sie in ihrem Interview mit dem Hauptstadtbrief am Samstag gesagt hat, die mich bewegt, zum Denken – und Überdenken bewusster und unbewusster Annahmen – angeregt, die mir aber auch Hoffnung bereitet und mich mit vorsichtigem Stolz erfüllt haben. Nur diese Passage will ich an dieser Stelle vorwegnehmen:

„Mein wichtigstes Ziel ist“, sagt die neue Integrationsbeauftragte Neuköllns, „das Verbindende in dieser Gesellschaft zu suchen und zu fördern, ohne dabei den einzelnen Menschen in seinen Nöten, Zwängen und Wünschen aus dem Blick zu verlieren.“ Und weiter, so die als Filmemacherin und Autorin zu Bekanntheit und Renommee gekommene Berlinerin: „Das größte Geschenk, das meine Eltern mir gaben, ist das Leben in einem freien, demokratischen Land. Ich glaube, dass ich als Frau das nicht oft genug sagen kann: Diese Freiheit ist für mich der größte Reichtum und die kostbarste Errungenschaft.“

Auch – vielleicht noch eher: vor allem – in ihren vermeintlich kontroverseren Ausführungen ist Balci eine wohltuende Stimme, klug, pointiert, frei von allen leeren Formeln, die in den einschlägigen Debatten so häufig zu hören sind. Eine Citoyenne, wie sie sich eine Stadt wie Berlin und ein Land wie Deutschland nur wünschen kann.

In ihrer Kolumne Auf den zweiten Blick schreibt Inge Kloepfer über das, was der große Philosoph Helmuth Plessner einst die „Verführbarkeit des bürgerlichen Geistes“ nannte. Anlass ist das neue Buch von Anne Applebaum, das sich wie eine Aktualisierung Plessners für unsere Zeit liest, in der autokratische Führer gerade auf Eliten und Intellektuelle wieder einen gefährlichen Reiz auszuüben scheinen – und sei es der, so nebenbei an ihnen, einen kleinen Reibach zu machen. Dass dies ein Phänomen ist, das sich nicht nur jenseits von Deutschland abspielt, müssen wir in diesen Tagen leider nur allzu deutlich feststellen.

Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich – bis morgen

Ihr Detlef Prinz

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