Corona, der Impfstoff und die Welt

Wer das weltweite Rennen um ein Corona-Vakzin zum nationalen Machtspiel erklärt, hat schon verloren

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SHUTTERSTOCK/TELNOV OLEKSII
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Corona, der Impfstoff und die Welt

Wer das weltweite Rennen um ein Corona-Vakzin zum nationalen Machtspiel erklärt, hat schon verloren

Am Ende war es wahrscheinlich nur ein Gerücht: Donald Trump wolle die Kontrolle über den Tübinger Impfstoff-Entwickler Curevac gewinnen, schrieb Die Welt am Sonntag im März und insinuierte: Die US-Regierung wolle sich exklusive Rechte an einem Impfstoff gegen das SARS-CoV-2 Virus sichern und einen deutschen Biotech-Mittelständler aus dem Württembergischen schlucken. Deutschland war auf dem Weg in den Lockdown, und die Schlagzeile passte gut zur allgemeinen Verunsicherung, während nationale Regierungen in Europa die Europäische Union ins vergangene Jahrhundert zurückbeförderten und die Grenzen schlossen.

Mittlerweile geht Curevac in den USA an die Börse, die deutsche Regierung steigt in das Unternehmen des Hauptinvestors Dietmar Hopp ein, die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung hält Anteile. Der Börsengang ist ein schöner Beweis dafür, dass es offenbar doch nicht so einfach ist, wie die ursprüngliche Schlagzeile glauben machen wollte: Zack, da kommt einer und schnappt sich das Allheilmittel weg, um die größte Herausforderung für Deutschland „seit dem Zweiten Weltkrieg“ (Angela Merkel) zu bewältigen. Zwischenzeitlich gilt ein von dem Mainzer Unternehmen Biontech gemeinsam mit dem US-Pharmamulti Pfizer entwickeltes Präparat als heißer Kandidat im Kampf gegen Covid-19. Die Aktiennotierung des zweiten deutschen Mittelständlers im Rennen um den Impfstoff rauscht zwischenzeitlich in den Keller – weil das Unternehmen Verluste ausweisen muss wegen des vielen Geldes, das es in die Forschung steckt. Es ist offenbar kompliziert.

Der weltweite Wettlauf um einen Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus wird seit Beginn der Pandemie immer wieder als Kampf der Nationen erzählt. Zuletzt mit der Ankündigung Wladimir Putins, Russland werde jetzt mit einem im Land entwickelten Stoff die eigene Bevölkerung durchimpfen. Die Zulassung erfolgt ganz offensichtlich unter Umgehung gängiger Testreihen vor Marktfreigabe, wie sie derzeit alle Impfstoff-Entwickler weltweit durchführen. Und wie sie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen werden.

Sollte der Mann im Kreml nicht nur eine weitere Propaganda-Rede an seinem Schreibtisch gehalten haben, sondern es tatsächlich so weit kommen, wäre es wohl der gefährlichste medizinische Feldversuch seit sehr langer Zeit. „Wir haben das Wundermittel, die anderen nicht“ ist das Narrativ der Vereinfacher und Populisten. Wer es nicht ganz so drastisch mag, denkt vielleicht auch an ein kleines gallisches Dorf und einen Druiden mit weißem Bart.

Dabei gibt es tatsächlich schon jetzt ein Mittel, das jeden Tag hilft auf dem Weg aus der Covid-19-Krise. Es ist die Grundlage offener Gesellschaften und in den liberalen Demokratien dieser Welt allgegenwärtig und zugänglich: die freie Information, zu der allerdings auch der Wille zählen muss, sich ihrer zu bedienen. Wie sehr der offene Informationsfluss, die Abwägung und der daraus folgende Erkenntnisgewinn Schlüssel zum Erfolg gegen Covid-19 ist, lässt sich seit Beginn der Pandemie gut verfolgen. Genauso wie das Gegenteil: Also das Sich-Verschließen, das Dichtmachen vor Erkenntnis. Denn das stand schon ganz am Anfang dieser Naturkatastrophe, die sich nach dem Stand der Dinge aus einer Zoonose entwickelt hat, also dem Überspringen eines tierischen Virus auf den Menschen, sehr wahrscheinlich in der Elf-Millionen-Metropole Wuhan in China.

Am 30. Januar dieses Jahres setzt sich der Generalsekretär der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, auf seinen Stuhl im Pressesaal der UN-Organisation in Genf und erklärt eine „gesundheitliche Notlage mit internationaler Tragweite“. Er warnt, dass SARS-CoV-2 sich auf den Weg um die Welt gemacht hat, und lobt ironischerweise die Partei-Oberen in Peking für ihre „außerordentliche Anstrengung“ im Kampf gegen das Virus. Wir wissen heute, dass das Unfug ist. Der ehemalige Spiegel-Reporter Cordt Schnibben hat gemeinsam mit dem Mitgründer der Investigativ-Plattform Correctiv David Schraven und einem weltweit vernetzten Team die Reise des neuartigen Coronavirus und die Fehlleistungen der Politik nachgezeichnet (Corona – Geschichte eines angekündigten Sterbens, dtv 2020). Sie liefern auch eine gute Erklärung für das Lob des WHO-Generalsekretärs gegenüber dem UN-Sicherheitsratsmitglied China: „Die WHO in Genf hat noch nicht einmal ein Instrument wie einen Sicherheitsrat oder eine Liste der Schande. Sie kann nicht sanktionieren. Sie kann nur laut ,Alarm!’ rufen und muss diesen Ruf möglichst diplomatisch verkleistern.“ Die Vereinten Nationen haben nur so viel Macht, wie ihre Mitglieder der Weltorganisation zugestehen. Und wie sehr sie nach dem Prinzip der freien Information handeln. Oder eben nicht.

Am Beginn dieser Pandemie steht ein junger Augenarzt aus Wuhan. Li Wenliang erkennt die Gefahr des Virus, der Monate später die Welt lahmlegen wird. Bevor er selbst an Covid-19 stirbt, wird der 33-Jährige von den örtlichen Sicherheitsbehörden drangsaliert, inhaftiert, verfolgt. Er hatte Kolleginnen und Kollegen mit Smartphone-Nachrichten auf die Gefahr aufmerksam gemacht. Er hat die ersten Informationen über das Virus verbreitet, anfangs glaubte er noch, es könnte sich um ein Wiederaufflammen des SARS-Virus handeln, der ab 2002 in Ost- und Südostasien epidemisch grassierte. Sehr wahrscheinlich wusste Peking da schon mehr – doch die chinesische Führung hielt ihre Informationen drei Wochen lang unter dem Deckel.

Wie wertvoll der Faktor Zeit in Verbindung mit dem Fluss von Informationen in dieser Pandemie ist, illustriert der Sprung von China nach Deutschland, in die Hauptstadt. Der Blick führt zu Olfert Landt, dem Gründer der Firma TIB Molbiol in der Nähe des ehemaligen Flughafens. Der Wissenschaftler entwickelt seit 30 Jahren medizinische Tests, auch schon für das Ebolavirus und die WHO. Gemeinsam mit dem Charité-Virologen Christian Drosten entwickelte er den ersten Test für das neuartige Coronavirus. In wenigen Tagen: nachdem die Informationen über den „Code“ von SARS-CoV-2 bekannt, die Informationen für seinen Test vorlagen. Erste Packungen mit den Teströhrchen schickte er nach Asien und bat darum, den Test auszuprobieren. Es hat funktioniert. Über die anfängliche Reaktion der Politik in Deutschland auf den Virus-Ausbruch sagt Landt: „Objektiv gesehen hat man es unterschätzt, obwohl man die Situation in China vor Augen hatte und wenig später gesehen hat, wie es Italien ergangen ist.“

Wahr ist aber auch: Seither wurde sehr viel richtig gemacht. Wir wissen heute Bescheid über die Effektivität von Schutzmasken und das Abstandhalten im Kampf gegen das Virus, weil die Epidemiologen schnell erkannten, dass viele Länder in Südostasien damit die Infektionskurven senken konnten. Die Information floss – sie ist die Medizin im Kampf gegen Covid-19. Das Gleiche gilt für die Erforschung künftiger Impfstoffe.

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