Ein Kommentar
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Gerade in dem Augenblick, als das letzte Transportflugzeug der Bundesluftwaffe mit unseren Soldatinnen und Soldaten, KSK-Spezialkräften und Fallschirmjägern, Bundespolizistinnen, Botschaftspersonal und vielen Ortskräften und zivilen Helfern auf dem Flughafen in Kabul abhebt, explodieren dort direkt an zwei Zugängen mehrere Bomben, gezündet durch Selbstmordattentäter des Islamischen Staates (IS), dessen mörderische Mitglieder auch noch das Gewehrfeuer auf US-amerikanische Soldaten und afghanische Zivilisten eröffnen. Die schreckliche Bilanz bisher: Mindestens 92 Menschen wurden getötet, darunter 13 US-Soldaten, unzählige Menschen, afghanische Frauen, Männer, Kinder, verletzt. Ein grauenhafter Anschlag, der nichts von seinem Schrecken verliert, wenn man sich vergegenwärtigt, dass genau vor solchen Anschlägen die Geheimdienste und Expertinnen vor Ort seit Tagen gewarnt hatten. Mein Mitgefühl gilt all denen, die um ihre Angehörigen, die bei diesem mörderischen Anschlag ums Leben gekommen sind, trauern.
Zugleich erfüllt mich ein seltsames Gefühl von „Gott sei Dank!“, als ich die Bilder der startenden letzten Bundeswehrmaschine im Fernsehen sehe, im Wissen darum, dass unsere letzten Soldaten vor Ort viele Bundespolizisten, Botschaftspersonal, zivile Helferinnen und mehr als 5000 afghanische Ortskräfte evakuiert und gerettet haben.
Vielleicht wurde vielen Deutschen erst in den vergangenen zwölf Tagen, nachdem die Bundesluftwaffe unter dem hochprofessionellen Kommando von Brigadegeneral Jens Arlt am vorletzten Montag in ihren Evakuierungseinsatz gestartet war, klar, in welch lebensgefährliche Mission unsere Soldatinnen und Soldaten geschickt wurden. Wir in der Heimat konnten im stündlichen Liveticker verfolgen, wie und wie viele Menschen durch unsere Bundeswehr aus dem Chaos gerettet werden konnten. Auch ich muss zugeben, dass ich zeitweise diesen Krieg in Afghanistan aus meiner Aufmerksamkeit verdrängt hatte. Seit vergangenem Montag gehen mir die Schicksale unzähliger Menschen und die Bilder ihrer Verzweiflung in diesem seit Jahrzehnten geschundenen Land aber nicht mehr aus dem Sinn. Vielleicht geht es anderen genauso: Erst jetzt wird mir so richtig deutlich, welch lebensgefährlichen Einsatz unsere Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und unsere zivilen Helfer und Ortskräfte in den vergangenen Wochen, aber auch die gesamten 20 Jahre des Einsatzes dort am Hindukusch täglich eingegangen sind. Das sollte uns allen größten Respekt abnötigen.
Denn: Wie oft ist die Bundeswehr in den vergangenen Jahren Gegenstand ironischer Äußerungen, Witzchen und Kommentare geworden. Die Panzer kommen nicht mal bis zur Grenze. Die Flugzeuge können nicht abheben. Aus zehn Hubschraubern fertigen wir einen, der wirklich fliegt. Überhaupt wurde und wird über die mangelhafte Ausstattung unserer Streitkräfte regelmäßig lamentiert, bis hin zu fehlenden Winterstiefeln, im Einsatz unbrauchbaren Gewehren und sonstigen mangelhaften Geräten. Dazu eine völlig überbürokratisierte und lahme Beschaffung, mit der kein Staat zu machen, geschweige denn zu verteidigen ist. Manches ist anekdotisch, vieles davon aber leider wahr. Allerdings: Das alles haben die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nicht zu verantworten. Für die Ausstattung unserer Bundeswehr und die Bereitstellung der dazu notwendigen Finanzmittel sind Bundesregierung und Parlament verantwortlich. Die Soldatinnen und Soldaten können am Ende nur so gut sein, wie man ihnen die dafür notwendigen Grundlagen und die Gelegenheit gibt, mit der bestmöglichen Ausstattung und ausreichenden finanziellen Ressourcen ihren Auftrag zu erfüllen.
Im Fall des zwei Jahrzehnte währenden Einsatzes in Afghanistan und nochmals wie unter einem Brennglas in den vergangenen zwölf Tagen beim überaus gefährlichen Evakuierungseinsatz hat unsere Bundeswehr eine erstklassige Arbeit unter Einsatz ihres Lebens geleistet. Deshalb sollten wir uns als zivile Staatsbürger zukünftig überlegen, wie und mit welchem Respekt wir mit unserer eigenen Armee umgehen, und in diesem Blick auf unsere Streitkräfte gerade angesichts unserer eigenen deutschen Geschichte das durchaus mit republikanischem Stolz verbinden. Denn die Bundeswehr hat sich – gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten in internationalen Einsätzen in Bündniszusammenhängen – zu einer „neuen“ Armee entwickelt: von einer Landesverteidigungsarmee zu einer hybrid operierenden Landesverteidigungsarmee mit umfangreichen Einsatzfähigkeiten. Der Einsatz, gerade in Afghanistan, war also nicht sinnlos, wie manche Beobachter raunen und auch Veteranen verbittert beklagen. Nein, der Einsatz in Afghanistan hat unsere Streitkräfte auch politisch reifer und besser in ihren Fähigkeiten gemacht, so schmerzlich die Verluste an Leben, die Verletzungen und Traumata auch sind. Das zeigt nur: Soldat zu sein, bedeutet, sich in Lebensgefahr zu begeben – für unser Land.
Die Bundeswehr ist und bleibt zudem eine republikanische Armee, die nur mit einem Mandat des Bundestages in lebensgefährliche Missionen geschickt werden sollte. Umso mehr muss die Regierung künftig begründen, welche strategischen Ziele mit einem Auslandseinsatz der Bundeswehr unter welchem Mandat verfolgt werden. Das ist die politische Führung ihren Soldatinnen und Soldaten schuldig.
Fest steht: Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland war die Bundeswehr eine republikanische Armee, die zuerst auf die Landesverteidigung im Bündnisfall ausgebildet wird und ausgerichtet ist. Dieses ursprüngliche Ziel wurde seit dem Ende des Kalten Krieges und der Zweiteilung der Welt vor über drei Jahrzehnten schrittweise entlang der neuen globalen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen modifiziert. Parallel dazu wurde die auch von mir stets hochgeschätzte allgemeine Wehrpflicht abgeschafft. In diese alte überschaubare Zeit zurück gibt es aber keine Rückkehr. Was aber gerade in den vergangenen 18 Monaten spürbar ist, ist ein neuer Blick auf unsere Bundeswehr: einer Armee, die auch in Friedenszeiten im Inland und bei Auslandseinsätzen, wie wir ihn gerade live erlebt haben, unentbehrlich und von den Menschen hoch angesehen ist. Zu Recht übrigens.
Ob humanitäre Unterstützungshilfe beim Flüchtlingsansturm im Jahre 2015 und folgende, beim schnellen Aufbau und Betrieb der Corona-Impfzentren und Unterstützung der Gesundheitsämter und Kontaktnachverfolgung, bei der schnellen Katastrophenhilfe in den vom Starkregen betroffenen Regionen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Bayern oder jetzt beim Evakuierungseinsatz in Kabul – gäbe es die Bundeswehr nicht, so müssten wir sie umgehend aus dem Boden stampfen. Inzwischen wissen wir, dass unsere Bundeswehr gerade in kritischen Situationen eine wichtige und stabilisierende Standhilfe unserer Gesellschaft ist. Das, was die Bundeswehr seit Jahren leistet, kann keine noch so gut konzipierte Image-Kampagne des Bundesverteidigungsministeriums ins richtige Licht setzen. Vielleicht sollten wir uns dies gelegentlich einmal vor Augen führen. Ich schließe diesen Kommentar einfach ab mit einem aufrichtigen und demütigen Dank an die zigtausend Soldatinnen und Soldaten, die in den vergangene Monaten bewiesen haben, dass unser Land sie braucht und wir alle stolz auf ihre Leistungen – egal an welcher Stelle – sein können: Danke, Bundeswehr!