Darstellende Künste

Das Hohe Haus bleibt besetzt – die Wahlrechtsreform dürfte die Zahl der Abgeordneten nur geringfügig senken

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SHUTTERSTOCK.DE/ROMANYA
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Das Hohe Haus bleibt besetzt – die Wahlrechtsreform dürfte die Zahl der Abgeordneten nur geringfügig senken

Die gute Nachricht zuerst: Eine Einigung in einer Koalition ist besser als keine Einigung. Die schlechte: Eine Einigung ohne greifbare Substanz ist kaum besser als keine Einigung. Denn was die Chefs der Regierungsparteien zur Wahlrechtsreform präsentiert haben, kann nur einer Kombination aus Unwillen und Resignation entwachsen sein. Dass man sich dazu noch „erleichtert“ über das konsensuale Minimum gab und sich ansonsten dem in Coronazeiten ungleich spannenderen Thema Kurzarbeit widmete, erinnerte an das Bonmot des langjährigen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, der den Beruf des Politikers den darstellenden Künsten zuordnete.

Nun soll also das weitere Wachstum des bereits um 111 Sitze über der Normgröße liegenden Bundestages durch zwei Schritte verhindert werden. Schon zur Bundestagswahl 2021 will man das Wahlrecht so ändern, dass Überhang- mit Listenmandaten begrenzt verrechnet werden können. Dieser so genannte „erste Zuteilungsschritt“ des Sitzkontingentverfahrens verhinderte bisher, dass Listenmandate in einem Bundesland zur Kompensation von Überhangmandaten in einem anderem herangezogen werden und somit zur Kannibalisierung von Listenmandaten führen. Maximal drei Überhänge, also gewonnene Direktmandate oberhalb des Zweitstimmen-Ergebnisses, sollen nicht mehr ausgeglichen werden. Das bedeutet theoretisch bis zu fünf Ausgleichssitze weniger für jedes nicht kompensierte Überhangmandat.

Fast müßig erscheint die Frage, wer sich mit dieser von einer Reform-Simulation nur schwer unterscheidbaren Maßnahme durchgesetzt hat. Die Union wollte ursprünglich bis zu sieben Überhänge unausgeglichen lassen, die SPD gar keine. Nun verständigte man sich auf drei, immerhin. Viel wichtiger dagegen sind die Zweifel, ob dieses Modell überhaupt eine nennenswerte Wirkung entfaltet. Das wird nicht nur pflichtschuldigst von den Oppositionsparteien bezweifelt, sondern auch von renommierten Wissenschaftlern wie dem Stuttgarter Mathematiker Christian Hesse, der zwei Jahre lang die Wahlrechts-Arbeitsgruppe von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble beriet. Auf der Basis der Bundestagswahl 2017 würde die aktuelle „Reform“ nach Hesses Kalkulation eine Mandatszahl von 690 ergeben – 19 weniger als jetzt, aber immer noch 92 Parlamentarier mehr als im Bundestag vorgesehen. Auch die CSU rechnet mit 20 Mandaten weniger aus dem „ersten Dämpfungsschritt“, weist aber vorsichtshalber darauf hin, dass die Wahrheit „letztlich“ beim Wähler liegt.

Das eigentliche Ärgernis dieses Koalitionsbeschlusses ist aber die nicht zu leugnende Tatsache, dass die Substanz einer Wahlrechtsreform in Form einer Absichtserklärung schlicht vertagt wurde. Als hätten nicht seit sieben Jahren zwei von den Bundestagspräsidenten Lammert und Schäuble eingesetzte Arbeitsgruppen aus Fraktionen, Wissenschaftlern und Verwaltung um einen gangbaren Weg zurück zu einer vertretbaren Größe des Parlaments gerungen, wird nun – Überraschung – eine Kommission gebildet. Die soll mit Seitenblick auf Geschlechterparität und mögliche Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre ein Ergebnis bis Mitte 2023 vorlegen. Was aus diesem Ergebnis dann wird, das aus heutiger Sicht unter Beibehaltung des Systems ziemlich nahe am bisherigen Erkenntnisstand liegen dürfte, steht ebenso in den Sternen wie die Zusammensetzung des dann 20. Deutschen Bundestages und der Bundesregierung im Jahr 2023. Fest steht nur: Die substanzielle Reform des Wahlrechts wird erst nach der Bundestagswahl 2025 umgesetzt – in einer halben Dekade.

Die Gründe, wie es zu dieser Lage kommen konnte, sind nicht ganz so einfach wie die Klage darüber. Vordergründig wird, teilweise auch bei der CDU, vor allem die CSU für das Debakel verantwortlich gemacht. Dass es unterhalb eines Koalitionsausschusses in der Sommerpause nicht zu einer Lösung, ja, lange nicht einmal zu einem offiziellen Vorschlag der Union kam und die Zeit nun gewaltig drängte, ist gewiss auch der Blockade der CSU zuzuschreiben. Die hatte allerdings einen aus ihrer Sicht sehr triftigen Grund. Sie wusste, was alle Experten wussten: dass eine wirksame Begrenzung der Mandatszahl im Bundestag nur über eine Verringerung der Zahl der Wahlkreise zu erreichen ist.

Und davon ist die CSU mehr betroffen als anderen Parteien, weil sie in Bayern traditionell alle oder fast alle Wahlkreise gewinnt. Alle ihre 46 Sitze sind Direktmandate. Bei der CDU sind es 231 von 246, bei der SPD nur noch 58 von 152. Die Linke hält derzeit fünf (von 69) direkt gewonnene Sitze, die AfD zwei (von 89), die Grünen einen (von 67), die FDP nicht ein einziges Direktmandat (von 80). Der Blick auf diese Relationen erklärt die großen Interessen-Unterschiede der Parteien bei einer Wahlrechtsreform. Beim komplexen Mischcharakter des deutschen Wahlsystems aus Mehrheitswahlrecht (im Wahlkreis) und dem eigentlich dominierenden Verhältniswahlrecht ließ sich das an den jeweiligen Einzel- und Gemeinschaftsvorschlägen der Fraktionen gut erkennen.

Das ist kein Trost, aber eine Erklärung. Ansonsten: Kein Ruhmesblatt, nirgends.

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