Das dünne Eis der Demokratie

Editorial des Verlegers

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Das dünne Eis der Demokratie

Editorial des Verlegers

Liebe Leserinnen und Leser,

es geht, leider ist das nicht zu dramatisch gesprochen, um die Zukunft Europas. Wohl und Wehe des politischen Projekts steht nicht nur in der Ukraine, die sich gegen den russischen Aggressor wehrt, auf dem Spiel. Die Umstände sind selbstverständlich andere, aber auch in Frankreich sind die dysfunktionalen Kräfte auf dem Vormarsch. Die geschwächte Regierung könnte auch das für Europa so wichtige deutsch-französische Kraftzentrum beeinträchtigen. Die Ampelkoalition in Berlin mag im Vergleich zu den Nachbarn stabil erscheinen, aber die Risse zwischen SPD, Grünen und FDP könnten sich auch schnell bedrohlich ausweiten.

In dieser Ausgabe des Hauptstadtbriefs beleuchten drei exzellente Beiträge die Lage in Paris, Kiew und Berlin. Claus Leggewie analysiert die Folgen der Parlamentswahl und zeigt die ideologisch-gesellschaftlichen Bruchlinien auf. Frank Hofmann beschreibt die potenziellen Gefahren – und schon eingetretenen Schäden – für die Ukraine und Europa, die ein – nicht etwa schon auf dem Verhandlungstisch liegender – „Deal“ mit Putin bedeutete. Und Katharina Hamberger verdeutlicht, wie die Regierungsparteien immer weniger Gemeinsamkeiten erkennen und sich schon in schärfer werdenden Sticheleien ergehen.

In seiner Kolumne Aus dem Bannaskreis ist Günter Bannas dem derzeit unwahrscheinlich großen Zuspruch für die Grünen auf der Spur, der auf den ersten Blick überraschen sollte, rütteln Robert Habeck und Annalena Baerbock doch gerade im Wochentakt an früheren Grundfesten der Partei.

Anne Wizorek beklagt – mit sehr guten Argumenten –, dass die Deutsche Bahn täglich Menschen mit Behinderung missachtet, für die nicht erst die übervollen Regionalzüge große Schwierigkeiten bereiten.

Und schließlich fragt Lutz Lichtenberger im Postskriptum, bis in welche Kreise die Staatsstreichversuche der Trumpisten wohl reichen.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch eine mich persönlich beindruckende Rede Philipp Weltes, dem Vizepräsidenten des Medienverbands der freien Presse (MVFP), dem auch ich angehöre, zu erwähnen. Welte sprach in Wien diese Woche beim European Publishing Congress über Gegenwart und Zukunft der Presse – und damit untrennbar auch für Demokratie und Gesellschaft. Denn, wie Welte betonte, gibt es ein „unauflösbares Band zwischen der Freiheit der Presse und der Stabilität einer Demokratie. Wann immer die Freiheit der Meinungen bedroht ist, ist die Freiheit einer Gesellschaft bedroht.“

Leider wird diese Bedeutung nicht nur von den extremen Rändern der Politik infrage gestellt. Welte sprach in Wien eindringlich von der „kontinuierlich anschwellenden Flut an manipulativen Inhalten, mit denen die Menschen in den sozialen Netzwerken konfrontiert sind.“

Diese Gefahr sollte auf keinen Fall unterschätzt werden, denn selbst wenn nicht jeder Unsinn dort für bare Münze genommen wird, geht schleichend doch „die Übersicht im permanenten Grenzverkehr zwischen der Wirklichkeit und den unendlich vielen, individuell manipulierten Wahrheiten, die in den digitalen Echokammern gezielt verbreitet werden“, verloren.

Zeitungen und die dazugehörigen Verlage sind, so Welte, ein Bollwerk gegen die Lügen und jene, die sie ungestraft in sozialen Netzwerken verbreiten. Sie sind der „wertgebundene Gegenentwurf zu der nicht enden wollenden Flut an manipulativen Inhalten in den sozialen Netzen.“ Weltes weiter währendem Bekenntnis zur Verantwortung der Zeitungen und Verlage „für die Zukunft unserer freien Gesellschaften“ möchte ich mich ausdrücklich anschließen.

Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich bis zur nächsten Woche

Ihr Detlef Prinz

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