Scholz, Lindner und Döpfner gegen die Grünen
Scholz, Lindner und Döpfner gegen die Grünen
Nach den schon heute historisch zu nennenden, fast endlosen Koalitionsausschusssitzungen zur Klimapolitik ist das Land um eine Erkenntnis reicher: Bald eineinhalb Jahre nach Beginn dieser angeblichen „Hoffnungskoalition“ ist die Hoffnung zerstoben, dass dort zusammenwachsen könnte, was zusammengehört. Wir erleben stattdessen eine Ampel im permanenten Modus der Selbstblockade.
Das hat im Kern drei zentrale Gründe: Erstens natürlich den 24. Februar 2022, den Beginn des Putinschen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Damit ist innenpolitisch die materielle Grundlage der sozial-ökologischen Transformation schlagartig weggefallen, nämlich billiges russisches Gas zumindest für eine Übergangszeit.
Das zweite Problem ist das Geschäftsmodell der FDP: Von Beginn der Koalition an agiert sie als Opposition in der Regierung, als der Hort der „bürgerlichen Vernunft“ gegen zwei angebliche Linksparteien. Und das durchaus mit Erfolg: Obwohl die FDP prozentual klar der schwächste Koalitionspartner ist, gibt sie allzu oft den Ton an. Schon in den Koalitionsverhandlungen, aber auch jetzt im Koalitionsausschuss lautet das Ergebnis: In der Ampel wedelt der Schwanz mit dem Hund.
So wird ausgerechnet der Verkehrssektor nun nicht mehr Jahr für Jahr geprüft, wie noch im alten, bereits zu schwachen Klimagesetz der großen Koalition vorgesehen. Damit ist das von Volker Wissing verantwortete Verkehrsministerium von der Pflicht für ein Sofortprogramm befreit; die Einhaltung der Zielvorgaben für 2030 rückt dort folglich in weite Ferne.
In die Wege geleitet wurde der FDP-Erfolg dadurch, dass (einmal mehr) die grünen Gesetzesvorhaben frühzeitig an die Medien durchgestochen wurden – insbesondere der nur halbfertige Entwurf zum Einbau von Wärmepumpen. Zum ersten Mal wurde so dramatisch deutlich, dass im Heizbereich viele Bürgerinnen und Bürger für die sozialökologische Transformation erhebliche Opfer werden bringen müssen. Opfer, die politisch nun ausschließlich dem grünen Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck angelastet werden. Die Konsequenz ist ein massiver Backlash – zulasten der ökologischen Anliegen wie auch der grünen Partei.
Das aber führt zum dritten Zentralproblem: Man muss den Eindruck haben, dass die Blockade der FDP auch dank bewusster Duldung des Kanzlers funktioniert. Faktisch agieren zwei Parteien, nämlich FDP und SPD, oft gemeinsam gegen die Grünen.
Von einem „sehr, sehr, sehr guten Ergebnis“ des Koalitionsausschusses sprach denn auch der Kanzler. Aus rein parteitaktischer Perspektive ist dies durchaus der Fall. Olaf Scholz braucht eine starke FDP – erstens, um damit CDU/CSU zu schwächen, und zweitens, weil nur eine zufriedene FDP ihm 2025 die Chance auf eine zweite Ampel-Legislatur eröffnet. Dagegen hat er weit weniger Interesse an starken Grünen, die ihm als Führungspartei der linken Mitte Konkurrenz machen könnten. Die Scholzsche Ermüdungsstrategie lautet daher, FDP und Grüne sich so lange befehden zu lassen, bis er am Ende als der vermeintlich einzige Erwachsene die Scherben zusammenkehrt und dafür von den Wählerinnen und Wählern belohnt wird.
FDP wie SPD agieren somit primär in Verteidigung ihrer politischen Gegenwartsinteressen, während die Grünen versuchen, auch die Interessen der zukünftigen Generationen zu vertreten – genau wie es das Bundesverfassungsgericht jeder Regierung mit seinem historischen Urteil vom März 2021 ins Stammbuch geschrieben hat.
Nach der neoliberalen Devise „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ kann jedoch keine Koalition auf Dauer funktionieren. Und schon gar keine angebliche Zukunftskoalition. So sehr der Bundeskanzler bei jeder seiner Reden die Notwendigkeit von mehr Gemeinsamkeit betont, existiert in der Ampel offensichtlich kein gemeinsames Zukunftsprojekt. Im Gegenteil: Aufgrund der vergangenen Wochen sieht sich die FDP in ihrer partei-egoistisch destruktiven Logik noch bestärkt. Folgerichtig hat Finanzminister Christian Lindner bereits die nächste Oppositionsoption in der Regierung ausgemacht und per Twitter das Ende „der Zeit der reinen Verteilungspolitik in unserem Land“ verkündet – als ob es in Deutschland je eine derartige Zeit gegeben hätte. Und anstatt die gemeinsam gefällten Beschlüsse der Koalition offensiv zu vertreten, macht sich die FDP auch bei der Atomkraft einen schlanken Fuß: „Würde es nach mir gehen, würden wir bestehende Kernkraftwerke in der Reserve behalten & den Rückbau verhindern“, teilte Lindner am Tag des Atomausstiegs mit, um auf diese Weise seine Hände in Unschuld zu waschen und mit der Drohung eines zukünftigen Energiemangels auch weiter gegen die Grünen als angebliche Verbotspartei agitieren zu können. „Die Zeit des Appeasements ist vorbei“, lautet denn auch die unsägliche Ansage von FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der auch nicht davor zurückschreckte, Robert Habeck mit Wladimir Putin zu vergleichen.
Massiv unterstützt wird die FDP dabei durch eine seit Jahren anhaltende Kampagne der Bild-Zeitung, die den Klimaminister Tag für Tag wie eine Sau durchs mediale Dorf treibt. Das belegen auch die jüngsten Zeit-Enthüllungen zur gleichermaßen abstrusen wie beängstigenden Geisteshaltung von Springer-Chef Mathias Döpfner. „Umweltpolitik – ich bin sehr für den Klimawandel. Zivilisationsphasen der Wärme waren immer erfolgreicher als solche der Kälte. Wir sollten den Klimawandel nicht bekämpfen, sondern uns darauf einstellen“, so der Springer-Chef. Wenn es eines gebe, was er hasse, dann seien es Windräder. Die einzige Kraft zur Zurückdrängung des ökologischen Ungeistes ist für Döpfner die FDP. Noch zwei Tage vor der Wahl schrieb er seinem (damaligen) Bild-Chef Julian Reichelt in einer Mail: „Please Stärke die FDP. Wenn die sehr stark sind können sie in Ampel so autoritär auftreten dass die platzt. Und dann Jamaika funktioniert.“
Dort zeigt sich: Der anhaltende Koalitionsstreit zwischen Springer-FDP und Grünen verläuft entlang zweier großer Konfliktlinien: Individual- versus Gesellschaftsinteresse, Gegenwartsgenuss versus Zukunftsschonung. Wenn aber die angekündigte sozial-ökologische Transformation tatsächlich gelingen soll, dann braucht es eine fundamentale materielle wie mentale Wende. Dann gilt es, von der rein individual-egoistischen Haltung Abschied zu nehmen, die mindestens die vergangenen 30 Jahren, seit der Zäsur von 1989/90, dominiert hat – nämlich von der neoliberalen Devise: „Privat vor Staat“.
Denn heute sehen wir das Ergebnis, in Form einer zusammenbrechenden Infrastruktur: zu spät eintrudelnde Züge, bröckelnde Brücken und marode, mit viel zu wenig Personal ausgestattete Schulen; Behörden, die über Wochen keine Bescheide erteilen, und Gerichte, die erst nach Jahren ihre Urteile fällen. Zeitenwende innenpolitisch gedacht bedeutet daher: Heute müssen wir uns endlich der Frage stellen, wie ein gesundes Verhältnis zwischen privaten und öffentlichen Ausgaben in Zukunft aussehen muss. Will die Ampel mit der von ihr verkündeten Transformation wirklich ernst machen, müssen die schon lange erforderlichen Investitionen in die Zukunft endlich erfolgen. Andernfalls werden uns die Probleme schon in Bälde überrollen.
In die öffentlichen Angelegenheiten zu investieren, heißt aber zugleich für den privaten Konsum einen gewissen Rückschritt, vulgo: Verzicht – und zwar speziell bei jenen, die es sich am meisten leisten können. Das aber bedeutet, dass wir dringend eine Diskussion um die gerechte Besteuerung gerade der Starken und Vermögenden an den staatlichen Ausgaben führen müssen, deren Reichtum in den vergangenen 30 Jahren enorm zugenommen hat.
Denn genau an dieser Stelle verläuft der eigentliche Riss zwischen FDP und Grünen als letztlich zwei Formen der Bürgerlichkeit, einer individual-egoistischen und einer gesellschaftlich-altruistischen. Dort muss der Kanzler endlich Farbe bekennen – klar zugunsten der Zukunft und damit auch gegen die FDP. Nur so wird er auch seinem großen Wahlkampfversprechen wirklich gerecht, nämlich ein Klimakanzler sein zu wollen.