Neuwahlen in Israel – für Netanjahus Freunde spielt die demokratische Erosion kaum noch eine Rolle
Neuwahlen in Israel – für Netanjahus Freunde spielt die demokratische Erosion kaum noch eine Rolle
In Israel wird geimpft, was das Zeug hält. Bis zu 150 000 Menschen sollen pro Tag immunisiert werden, so das Ziel in dem mittlerweile dritten Lockdown. Klappt alles nach Plan, dann wird man die Pandemie vielleicht schon bald hinter sich gelassen haben.
Israel war von Anfang an ein bisschen früher dran, auch mit dem Ausbruch der ersten Welle im vergangenen Frühjahr. Dass es nun weiter die Nase vorn hat, liegt aber auch mit an der überschaubaren Größe des Landes, der zeitigen Vorsorge für Impfstoff und einem flexiblen Gesundheitssystem. Covid-19 wird aber sicherlich noch nicht ganz überwunden sein, wenn am 23. März die nächsten Wahlen anstehen. „Niemand kann sagen, wie viele infizierte Menschen es dann geben wird und wie viele sich in Quarantäne befinden werden“, erklärte die Direktorin des Zentralen Wahlkomitees, Orly Adas. Man will der Sache mit einer erhöhten Zahl an Wahllokalen beizukommen versuchen. Das aber ist mit Sicherheit das kleinere Problem.
Das größere besteht darin, am Ende eine funktionstüchtige Regierung hinzubekommen. Es ist nun immerhin schon die vierte Wahl innerhalb von 24 Monaten. Die Einheitsregierung, die noch unter dem Druck des Pandemie-Beginns zusammengefunden hatte, zerbrach zum Jahresende – formal, weil nicht wie vereinbart ein zweijähriger Haushaltsetat verabschiedet wurde.
In Wahrheit aber war das Vertrauen des wichtigsten Koalitionspartners Benny Gantz in Regierungschef Benjamin Netanjahu abgrundtief erschüttert. Erfahrene Beobachter hatten von vorneherein ihren Kopf verwettet, dass es niemals zu dem Rotationsverfahren kommen würde, das Gantz im Herbst zum Ministerpräsidenten gemacht hätte. Sie sollten recht behalten. Damit ist nun die kurze politische Karriere des ehemaligen Generalstabschefs, der zunächst als ein vielversprechender Herausforderer Netanjahus angetreten war, vorbei. Auch ist von Gantz‘ Blau-Weiß-Partei nicht mehr viel übrig.
Diese erneuten vorgezogenen Wahlen mögen nun als Symptom einer chronischen politischen Instabilität anmuten, in Wirklichkeit aber sind sie ein Beweis von „Bibi“ Netanjahus Fähigkeit, das System zu seinen Zwecken zu biegen, um weiter im Amt zu bleiben – was im Übrigen auch seine Unterstützer so sehen. Deshalb gibt es mittlerweile nur noch zwei Lager im Land. Eines ist für Bibi und das andere gegen ihn. Zuletzt hat nun sogar der langjährige Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai seinen Hut in den Ring geworfen, weil er die Entwicklung nicht mehr länger von außen mitansehen konnte. Mit seiner neuen Partei will er verhindern, dass „wir uns an einen Regierungschef unter Anklage“ und an die „permanente Gefährdung des Strafverfolgungssystems gewöhnen“.
Netanjahu steht wegen Korruption vor Gericht. Die Verhandlungen werden in den nächsten Wochen wieder aufgenommen. Es ist kein Geheimnis, dass der Regierungschef eine parlamentarische Mehrheit für ein Immunitätsgesetz anstrebt. Er ist ein Meister, wenn es darum geht, Allianzen zu schmieden und das gegnerische Lager zu zersplittern. Seine Opponenten aber kommen inzwischen zunehmend auch aus den eigenen Reihen. Er hat es mit gleich zwei Herausforderern aus dem rechten Lager zu tun: Naftali Bennett an der Spitze der rechts-religiösen Jamina-Partei und der ehemalige Erziehungs- und Innenminister Gideon Sa’ar, der gerade Netanjahus Likud-Partei unter Fanfaren den Rücken gekehrt und noch andere Kollegen in seine neu gegründete „Neue Hoffnung“ mit herübergezogen hat. Beim Abgang warf Sa’ar der Likud-Partei vor, einen „Personenkult“ zu betreiben und sich für die „persönlichen Interessen“ Netanjahus instrumentalisieren zu lassen.
Für Netanjahu ist die Zersplitterung des konservativen Lagers tatsächlich bedrohlicher als Alternativen vom Zentrum, wie sie einst Gantz und nun auch Huldai verkörpern. Denn zuvor gab es für all jene Likud-Mitglieder und -Wähler, die Netanjahu inzwischen zwar auch als Belastung empfinden, aber nicht ins andere Lager überlaufen wollten, keinen anderen Ausweg. Zudem lassen sich weder Bennett noch Sa’ar so leicht im Wahlkampf als Linke verunglimpfen. Die Frage bleibt, wie erschütterbar Netanjahus über die Jahre geschickt aufgebautes Bündnis mit den ultra-orthodoxen und orientalischen Wählern sich am Ende erweist.
Für seine Unterstützer spielen der Prozess oder die Erosion demokratischer Grundsätze keine oder allenfalls eine untergeordenete Rolle. Wer soll ihm denn das Wasser reichen können, ist ein häufig artikuliertes Argument für Netanjahu, der bisher am längsten in der Geschichte des Landes regiert. Netanjahu inszeniert sich schon jetzt als unabkömmlicher Regierungsschef, unter dessen Ägide Normalisierungsabkommen mit muslimischen Staaten unterschrieben wurden und die Corona-Pandemie unter Kontrolle gebracht wurde.
Diese Erfolge werden im Zentrum von Netanjahus Wahlkampfs stehen. Auf der anderen Seite hat sich eine mittlerweile parteiübergreifende Gegnerschaft formiert, die den Regierungschef um jeden Preis ablösen möchte. Keines der beiden Lager könnte womöglich eine entscheidende Mehrheit erringen. Das würde bedeuten, dass nach der Wahl schon wieder vor der Wahl wäre. Und solange das so ist, bleibt der alte Regierungschef im Amt.