Das Versagen der Bundesregierung kann Menschenleben kosten

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RULA ROUHANA Erst einmal in Sicherheit: Ein vor den Taliban geflüchtetes afghanisches Mädchen am Flughafen in Dubai. Und jetzt?
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RULA ROUHANA Erst einmal in Sicherheit: Ein vor den Taliban geflüchtetes afghanisches Mädchen am Flughafen in Dubai. Und jetzt?
Erst einmal in Sicherheit: Ein vor den Taliban geflüchtetes afghanisches Mädchen am Flughafen in Dubai. Und jetzt?

Das Versagen der Bundesregierung kann Menschenleben kosten

Der Blitzsieg der Taliban glich einem Felssturz. Scheinbar ohne Vorwarnung brach er über die afghanische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft herein. Nur: Der Eroberungszug der Taliban war lange vorhersehbar. Seit mehr als einem Jahr ist vereinbart, dass die amerikanischen Truppen Afghanistan 2021 verlassen würden. Spätestens seit dem Doha-Abkommen zwischen US-Präsident Donald Trump und den Taliban zeichnete sich ab, dass der Rückzug des Westens aus dem Land kein Zeichen der Stärke und des Sieges sein würde. Die Taliban drohten bei Nichteinhaltung des Abkommens glaubhaft, den Krieg zu intensivieren und unendlich zu verlängern. Der Abzug erschien Washington als das kleinere Übel. Das war so zu erwarten.

Trotz dieser Vorzeichen hat die Bundesregierung weder eine politische Exitstrategie noch einen Evakuierungsplan für die Ortskräfte und Mitarbeiter erarbeitet. Dabei galt immer: in together, out together – wenn die USA gehen, muss auch Deutschland raus.

Fehlende Vorbereitung

Die Konsequenzen dieses Regierungsversagens kann alle Welt beobachten: Während die USA und weitere Verbündete nach kurzfristiger Lageänderung die nötige massive Truppenpräsenz zur Evakuierung von Staatsbürgern und Schutzbedürftigen vornahmen, startete der erste A400M der Luftwaffe erst, nachdem Kabul gefallen war. Der späte Zeitpunkt dieser Evakuierungsmission und die fehlende Vorbereitung machen diesen Bundeswehreinsatz unnötig gefährlich. Das Versagen der Bundesregierung kann Menschenleben kosten.

Der Einsatz der Soldatinnen und Soldaten war nicht umsonst

Warum haben das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium zugesehen, wie unsere Verbündeten bereits Tage vor dem Einfall der Taliban in Kabul begannen, ihre Landsleute und Ortskräfte zu evakuieren? Warum hat das Bundesministerium des Inneren über Monate auf bürokratische Abläufe bestanden, anstatt eine schnelle Einreise zu ermöglichen? Und: Hat der Einsatz in Afghanistan trotz der beschämenden Planlosigkeit der Bundesregierung überhaupt etwas gebracht oder war er, wie jetzt manche schreiben, ein Desaster?

Erinnern wir uns: Der wichtigste Auftrag nach den Anschlägen am 11. September 2001 war es, unseren amerikanischen Partnern zur Seite zu stehen und zu verhindern, dass vom Hindukusch aus weitere Terroranschläge auf den Westen geplant werden können. Seitdem die Nato am 4. Oktober den ersten Bündnisfall ihrer Geschichte ausrief, ging von Afghanistan kein Terroranschlag mehr auf die westliche Welt aus. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben ihren Auftrag mit Bravour erfüllt. Deutschland ist ihnen zu Dank verpflichtet. 59 von ihnen haben dafür ihr Leben gelassen. Ihr Einsatz war nicht umsonst. Aber das politische Ziel, Afghanistan in Frieden und Stabilität zu hinterlassen, wurde nicht erreicht.

Hilfsgelder richtig einsetzen

Was muss, was kann Deutschland jetzt tun? Oberste aktuelle Priorität ist, so viele Leben wie möglich zu retten. In Lebensgefahr ist fast jeder, dessen Werte und Lebensweise dem Weltbild der Taliban widersprechen.

Deutschland sollte mit einem speziellen Visaprogramm für Afghaninnen vorangehen. Gerade Frauen, denen in den vergangenen Jahrzehnten endlich ein Recht auf Bildung und Selbstverwirklichung zugekommen ist, drohen jetzt Unterdrückung und Entrechtung.

Gleichzeitig müssen alle internationalen Zahlungen an Afghanistan eingestellt werden und der Zugang der Taliban zu den im Ausland befindlichen Währungsreserven der Afghanischen Zentralbank ebenso blockiert werden wie die Zahlungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Ziel ist, den Taliban die finanziellen Mittel zu entziehen, mit denen sonst ein Terrorregime aufgebaut würde.

Stattdessen müssen mehr Hilfsgelder zur Versorgung der afghanischen Zivilbevölkerung und afghanischer Flüchtlinge mobilisiert werden. Deutschland sollte sich für einen Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs einsetzen, auf dem erhöhte finanzielle Zusagen an Hilfsorganisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) oder die Internationale Organisation für Migration (IOM) gemacht werden – Organisationen, die schon vor der Machtübernahme der Taliban an chronischem Geldmangel litten. Zudem müssen die europäischen Partner schnellstmöglich das Gespräch mit Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan, aber auch der Türkei suchen, die die Hauptlast der neuen Flüchtlingsbewegung tragen werden.
Nach der unmittelbaren Krisenbewältigung wäre eine UN-Konferenz, wie es sie 1979 zur Umsiedlung damaliger vietnamesischer Flüchtlinge gab, das richtige Format, um die Versorgung auf internationaler Ebene zu koordinieren.

Deutschland braucht eine Enquete-Kommission

Fazit ist: Die Tragödie am Hindukusch hat eine Bedeutung, die die ganze Region betrifft. China empfing jüngst eine Taliban-Delegation in der chinesischen Hafenstadt Tianjin. Peking und Moskau machen sich bereit, das Machtvakuum zu füllen, das die westlichen Partner hinterlassen haben.

Auch die schrecklichen Bilder werden bleiben. Deutschland und die Nato müssen dafür Sorge tragen, dass sich eine ähnliche Situation in anderen Einsatzgebieten nicht noch einmal wiederholt. Deutschland braucht jetzt eine Enquete-Kommission Afghanistan, die die Geschehnisse ehrlich aufarbeitet und den Einsatz in seiner Gesamtheit evaluiert.

Dabei geht es nicht um Schuldzuweisung, sondern darum, Lehren zu ziehen, um in künftigen Missionen realistischere politische Ziele und klarere militärische Aufträge zu definieren. Das Ziel einer solchen ehrlichen Aufarbeitung ist auch, die Glaubwürdigkeit des Westens wiederherzustellen, in den Augen unserer Gegner, unserer Partner, aber auch bei derjenigen, die wie die Ortskräfte in Afghanistan ihr Vertrauen und ihre Hoffnung darauf gesetzt haben, dass deutsche Politik zu ihrem Wort steht. Der Afghanistan-Einsatz war nicht das vollständige Desaster, das jetzt manche plump an die Wand malen. Aber beim Abzug hat Deutschland ein miserables Bild abgegeben. Das darf nie wieder passieren.

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