Postskriptum
Postskriptum
Auch wer zu Twitter und Konsorten peinlich genau auf virtuellen und geistigen Sicherheitsabstand geht, dürfte mitbekommen haben, dass ein sehr reicher Elektroautohersteller namens Elon Musk nach zwischenzeitlicher buyer’s remorse, zu Deutsch: Kaufreue, schließlich aber doch schlappe 44 Milliarden berappt hat, um den Kurznachrichtendienst zu übernehmen und als Erstes wahllos Mitarbeiter rauszuwerfen, die Presseabteilung und Prüfstellen abzuschaffen, einen Ex-Präsidenten und andere Hassprediger und Tunichtgute zur Rückkehr auf die Plattform einzuladen. Das tolldreiste Treiben hatte da gerade erst begonnen. Die Accounts von ihm nicht genehmen Journalistinnen und Journalisten wurden gesperrt, einige, aber nicht alle, nach scharfen Protesten wieder zugelassen – wofür ihm der deutsche Justizminister doch tatsächlich auch noch unterwürfigst Beifall spendete und Größe attestierte. Musk machte sich derweil billig über Transsexuelle lustig, plädierte für eine Verhaftung Anthony Faucis, dem amerikanischen Christian Drosten, und verbreitete nach dem Attentat auf den Ehemann Nancy Pelosis, einer führenden Demokratin, widerliche und menschenverachtende Lügen.
Man musste schon reichlich naiv sein, um die politische Orientierung des neuen Besitzers zu verkennen. Musk bewegt sich in der Gedankenwelt eines Donald Trump, bei dessen Staatsstreichversuch es am 6. Januar 2021, anders als bei den Reichsbürgern in Deutschland, tatsächlich Tote gab.
Warum aber haben die sogenannten sozialen Medien ihren immer giftigeren Siegeszug im sozialen Leben auch 2022 fortgesetzt? Johannes Hepp, Psychologe, Paar- und Familientherapeut und Psychoanalytiker hat ein Buch über das Phänomen geschrieben, warum so viele Menschen sich tagtäglich freiwillig in jenen sozialmedialen Hades begeben, jenseits großpolitischer Erklärungsmodelle. In „Die Psyche des Homo Digitalis. 21 Neurosen, die uns im 21. Jahrhundert herausfordern“ (Kösel) deutet Hepp die manische Magie des Mediums so: „Noch nie gab es Kommunikationsformen, die designt wurden, um uns zu abhängigeren Neurotikern zu machen, und die täglich weiter perfektioniert werden: vollautomatisiertes Zuckerbrot und algorithmische Peitsche, Erleichterung und Erschwerung, Belohnung und Beschimpfung, Applaus oder Shitstorm, ausgegrenzt oder gehypt, erst himmelhoch jauchzend und dann zu Tode betrübt, vollautomatisierte Liebe und vollautomatisierter Hass.“
Das sei das Werk jener Technologien der Social-Media-Großunternehmen, die psychologisch geschickte Manipulation des Verhaltens der Nutzer, das auf ein Mehr, Mehr, Mehr hinauslaufe: mehr Bildschirmzeit, Empörung, Angst und künstliche Erfolgserlebnisse bis hin zu mehr Sex ohne Menschen.
Lebensnah sind auch Hepps Handreichungen zur Entgiftung, wie er jüngst in einem Interview in der Süddeutschen sagte: „Mehr umarmen, weniger chatten. Mehr erkunden, weniger eintippen. Mehr Sex, weniger Pornos. Mehr reales, sinnliches Leben. Erfahrungen wagen, von denen wir nicht wissen, wie sie ausgehen oder ob sie sich rechnen.“
Oder, um eine Idee des großen Satirikers Max Goldt zu borgen, der einst gegen den Horror der durchkommerzialisierten, Frostschutzmittel mit Gewürz (auch Glühwein genannt) verhökernden, Sacropop plärrenden Weihnachtsmärkte den „Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“ beschwor: Im neuen Jahr das unselige elektronische Gewese einfach mal abschalten.