Denkanstöße, Umgangsformen und erwachsene Gesellschaften

Editorial des Verlegers

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Denkanstöße, Umgangsformen und erwachsene Gesellschaften

Editorial des Verlegers

Liebe Leserinnen und Leser,

in den vergangenen Tagen hatte die Twitter-Meute sich einmal wieder ein neues Hassobjekt auserkoren. Sarah-Lee Heinrich hatte als 13-jährige Schülerin einige ungute Tweets abgesetzt, die zu wiederholen an dieser Stelle aber zu verzichten ist, schon allein angesichts der Tatsache, dass wohl jeder im jugendlichen Überschwang dies und das von sich gegeben haben dürfte, das besser in die Multifunktionsjacke des Schweigens gehüllt bleiben darf. Nachdem Heinrich aber jüngst zur neuen Bundessprecherin der Grünen Jugend gewählt wurde, gruben Erste-und-letzte-Steinewerfer ihre dereinst gezwitscherten Nachrichten aus den gnadenlosen Untiefen des Netzes wieder hervor – und empörten sich maximal. Heinrich meldete sich erst einmal aus der Öffentlichkeit ab, sie hatte zahlreiche Morddrohungen erhalten.

Klar, vor gedankenloser Twitterei ist zu warnen. Besonders Kinder sollten davor geschützt werden. Sarah-Lee Heinrich sagte im Interview mit der Zeit, sie lade „alle Lehrerinnen und Lehrer ein, meine Geschichte als Beispiel dafür zu verwenden, was man so ins Internet schreibt und wie Shitstorms funktionieren.“

Aber noch einmal einen Schritt zurück: Es gibt in Deutschland tatsächlich Menschen, die einer zwanzigjährigen Nachwuchspolitikerin Morddrohungen senden? Kann das sein? Wer sind diese Menschen, was ist nur mit ihnen los? Und dann aber auch: Wie können wir alle so etwas zulassen? Bedarf es nicht wirklich endlich schlagkräftiger Mittel und Wege, dergleichen strafrechtlich zu verfolgen? Das unregulierbare „Internet“ sollte nicht länger als vermeintliche Ausrede herhalten, die Sache einfach schulterzuckend hinzunehmen.

Gegen das in weiten Teilen vergiftete Debattenklima schreibt auch Franziska Schutzbach an.

Die in Basel lehrende Soziologin hat ein so elegant wie gelehrtes Buch über die „Erschöpfung der Frauen“ geschrieben – auch eines jener Themen, das die Gemüter allzu oft über Gebühr in Wallung bringt. Schutzbach aber wägt ab, argumentiert umsichtig und klug – und nicht nur für ein Publikum, das ohnehin ihre Einschätzungen teilen dürfte. Es kann schon sein, dass es auch im Twitter-Universum Bereiche gibt, in denen interessante Ideen diskutiert werden, sich echte Denkanstöße finden lassen und die Umgangsformen einer erwachsenen Gesellschaft würdig sind. Aber auch dann lebt der Diskurs von jener Gattung geistreicher längerer Essays, wie Schutzbach ihn für diese Ausgabe des Hauptstadtbriefs am Samstag geschrieben hat. Darüber hinaus sind ihrem Buch gerade auch die skeptischen Leserinnen und Leser nicht genug zu wünschen.

Für die heutige Kolumne hat Jonathan Lutes, Redakteur der German Times, uns eine Mail aus Amerika gesandt, in der er die Aufregungen über die Unregelmäßigkeiten des jüngsten Wahlsonntages in Berlin mit den ungleich bedenklicheren Vorgängen in den USA kontrastiert – so heiter wie besorgt.

Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich – bis morgen

Ihr Detlef Prinz

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