Die SPD muss nach den verlorenen Landtagswahlen auch in Berlin ihre Reserven anzapfen. Die Union hat schon wieder Oberwasser
Die SPD muss nach den verlorenen Landtagswahlen auch in Berlin ihre Reserven anzapfen. Die Union hat schon wieder Oberwasser
Ein „sozialdemokratisches Jahrzehnt“ sollte es werden – weit kam die SPD mit diesem Traum nicht. Schon in Schleswig-Holstein gab es ein wenig schönes Erwachen, am Wahlabend in Nordrhein-Westfalen kam die SPD endgültig in der harten (alten?) Realität an.
Selbes gilt für die FDP – ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen musste die Partei um den Wiedereinzug in den Landtag zittern, dort, wo Parteichef Lindner vor fünf Jahren noch selbst als Spitzenkandidat antrat und mit 12,6 Prozent ein Spitzenergebnis für die Liberalen einholte. Es war der Wiederaufstieg der FDP nach dem Bundestagswahl-Desaster 2013. Dass sowohl SPD und FDP aus dieser Wahl nun mit einem jeweils für sie schlechten Ergebnis herausgehen, kann auch Auswirkungen auf die Ampel haben – und zwar nicht zwingend positive.
Für die FDP begann die Regierungszeit in Berlin eigentlich gut. Sie hatte sich im Koalitionsvertrag in vielen Streitfragen durchsetzen können, für den Geschmack so mancher Grünen viel zu häufig. Profitiert haben die Liberalen davon in der Folge bei den Stimmungstests, die die Wahlen in den Ländern immer auch sind, aber nicht.
So ist etwa der Verkehrsminister Volker Wissing noch nicht groß aufgefallen, und Finanzminister Christian Lindner muss, pandemiebedingt und angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine, eine finanzpolitische Linie verfolgen, die die Liberalen selbst Lindner um die Ohren gehauen hätten, wären sie in der Opposition. Was es heißt, in einer Regierungskoalition nicht wirklich gut wahrgenommen zu werden, musste die FDP 2013 bei der Bundestagswahl schmerzlich erfahren. Und auch in Düsseldorf und Kiel ist sie im Gegensatz zu den jeweiligen Koalitionspartnern abgestraft worden. Das dürfte nun Auswirkungen auch auf den Bund haben: Die Liberalen werden um mehr Sichtbarkeit kämpfen – zur Not eben auch auf Kosten der Koalitionspartner. Das dürften vor allem die Grünen zu spüren bekommen. Dass sie als strahlende Sieger in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein vom Platz gegangen sind – auch, weil sie von der Arbeit im Bund profitieren konnten – dürfte für die Liberalen noch einmal mehr Ansporn sein.
Auch für die SPD macht die Wahl am vergangenen Sonntag das Regieren im Bund voraussichtlich nicht einfacher, alleine schon deshalb, weil der Kanzler das Risiko eingegangen ist, sich auf Plakaten mit Spitzenkandidat Thomas Kutschaty abbilden zu lassen – damit ist das Ergebnis direkt mit ihm verbunden. Es stellt sich also die Frage, ob er und auch die Parteispitze damit durchkommen, das Problem ausschließlich in der Kommunikation der Inhalte und nicht vielleicht auch beim Personal selbst zu suchen. Schnell könnte es nach den beiden verlorenen Landtagswahlen wieder anfangen in der Partei zu rumoren, deren Erfolg bei der Bundestagswahl eigentlich auch mit der neu gefundenen Einigkeit zu tun hatte. Reichen die Reserven an good will, um für den Kanzler und seine SPD, diese Einigkeit zu bewahren? Fraktionschef Rolf Mützenich spielt dabei eine entscheidende Rolle für Scholz, er hat es in der Hand, wie die Fraktion reagiert.
In der gegenwärtigen Situation ist es auch strategisch nachvollziehbar, dass die Sozialdemokraten ihren Optimismus für eine mögliche Ampel in Düsseldorf nicht verlieren – auch wenn diese in der Realität höchst unwahrscheinlich ist. Eine SPD-geführte Regierung würde das Ergebnis schnell vergessen machen und die Position der Kanzlerpartei im Bundesrat massiv stärken.
Kommt es aber zu Schwarz-Grün – sehr viel wahrscheinlicher –, profitieren davon vor allem die Unionsparteien in Berlin. Sie könnten dann ihre Oppositionsarbeit auch über den Bundesrat befördern. Grundsätzlich sind es nicht nur die schlechten Ergebnisse für zwei von drei Ampel-Partnern, die für Unruhe sorgen könnten, auch das gute Abschneiden der CDU macht es für die Regierungskoalition nicht einfacher. Denn klar ist, vor allem bei der CDU wird man die Landtagswahlergebnisse als Bestätigung für den eigenen Kurs in der Opposition und vor allem auch für Friedrich Merz sehen, dessen Anteil vor allem darin liegt, Ruhe in die streitende Union gebracht zu haben. Gerade wenn die Ampel die Union braucht, wie beim Sondervermögen für die Bundeswehr, werden die Verhandlungen mit einer durch Erfolge geeinten und selbstbewussten Parteienfamilie kein Spaziergang sein.
Aus der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ droht nun eine zu werden, deren Zusammenhalt gefährdet ist, weil jeder Partner nur noch auf den eigenen Fortschritt schaut.