Editorial des Verlegers
Editorial des Verlegers
Liebe Leserinnen und Leser,
im November sandte uns Andrea Löw einen Text, der sich mit notwendiger Wut, aber auch geschichtlich-gelehrter Verve gegen den Missbrauch und die Verhunzung historischer Namen und Begriffe wehrte, gegen ihren recht besehen beschämenden Missbrauch durch Coronaleugner, rechtsradikale Aufwiegler und andere Ungeister.
Aber Andrea Löw, stellvertretende Leiterin des Zentrums für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte (IfZ), und der Redaktion war auch klar, dass dieser politisch-geistige Großkonflikt wahres gesellschaftliches Spaltungspotential in sich birgt. Mit Spaltung sind dann nicht notwendige Auseinandersetzungen und Konflikte gemeint, in denen niemals eine Sicht auf die Welt übrigbleibt – oder übrigbleiben sollte. Es gibt in einer pluralistischen Gesellschaft legitime Zielkonflikte, selbstverständlich unter Beibehaltung menschenrechtlicher Grundprämissen. Das kann man auch Demokratie nennen.
Das Gefährliche am Riss ist aber der Verlust der Dialogfähigkeit, dass das Gespräch nicht mehr möglich ist, dass alle Seiten dichtmachen.
Andrea Löw hat uns nun einen neuen Essay gesandt, in dem sie all jene feinen Abstufungen, Begriffsklärungen und politischen Voraussetzungen erneut überaus klug und elegant durchdenkt.
Keine Frage, es gibt Menschen, die sich mit Äußerungen selbst ins Abseits stellen, die gerade den Abbruch des Gesprächs forcieren. Aber, das ist eines der bestechenden Argumente Löws, es muss immer wieder aufs Neue versucht werden, alle anderen wieder in jenen Kreis zurückzuholen. Und dabei gilt dann auch der Aufruf an jeden von uns: „Wir brauchen mehr Nuancen, um eine komplizierte soziale Wirklichkeit, in der für viele Menschen Gewissheiten zerbrechen, sprachlich zu erfassen. „‚Faschisten‘ und ‚Nazis‘ – das sind Kampfbegriffe, die oft aus einer verständlichen Empörung heraus genutzt werden, sich aber nicht mehr steigern lassen.“
Ich kann Ihnen Andrea Löws herausragenden Essay nur wärmstens ans Herz legen.
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Im zweiten Beitrag dieses Hauptstadtbriefs fasst Andrea Römmele knapp und präzise zusammen, wo die deutschen Parteien vor dem Superwahljahr 2021 stehen. Im Englischen nennt man solche Übersichten gerne primer. Römmele, Dean of Executive Education of Communication in Politics and Civil Society an der Hertie School of Governance, versteht sich vorzüglich in dieser schönen angelsächsischen Tradition.
Heißen wir das neue Jahr willkommen!
Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich – bis morgen
Ihr Detlef Prinz