Der Appell französischer Militärs zeugt von der Gefahr einer schleichenden Aushöhlung der Demokratie
Der Appell französischer Militärs zeugt von der Gefahr einer schleichenden Aushöhlung der Demokratie
Zum weltweiten Vormarsch der Autokratien gehört, dass sich Armeen auf die Seite der Autokraten stellen. Demokratien verpflichten ihre „Bürger in Uniform“, in den Kasernen zu bleiben; sie haben Verteidigungsarmeen, die vor einem Angriff von außen schützen und bei inneren Notständen (wie jetzt bei der Pandemiebekämpfung) höchstens zeitweise unterstützen, sich aber politisch heraushalten.
Damit ist keine unpolitische Armee gemeint, sondern eine, die sich schützend vor die Verfassung und Republik stellt, wenn sie bedroht ist. Das Gegenteil in der deutschen Geschichte war die Wehrmacht, im Geist des Militarismus des Wilhelminischen Reiches sozialisiert und überwiegend gegen die Weimarer Republik eingestellt und intrigierend.
Das sollte in westlich-liberalen Demokratien unbedingt so bleiben. Doch am 21. April 2021 veröffentlichte die Zeitschrift Valeurs actuelles einen Appell pensionierter französischer Militärs an die Regierungsverantwortlichen, zu Ehrgefühl und Pflichtbewusstsein zurückzukehren. Die Nation sei zutiefst bedroht vom Islamismus und den „(Migranten-)Horden der Vorstädte“, allgemeiner von einem Rassenkrieg, den die „Postkolonialen“ anzettelten, mit Zustimmung der Herrschenden und erleichtert durch ein Klima des „Laxismus“. Der Aufruf endet mit der unverhohlenen Drohung, dass, sollte die Regierung den Bürgerkrieg geschehen lassen, die Armee intervenieren und dem Treiben ein Ende setzen werde. Noch deutlicher wurden die Möchtegern-Putschisten in ihrem Blog Place d’Armes.
Das Datum der Veröffentlichung war wohl gewählt. Am 21. April 1961 hat das erste Fallschirmjäger-Regiment der Fremdenlegion strategische Punkte in Algier besetzt und der Bevölkerung übers Radio mitgeteilt, aufständische Generäle hätten das Kommando über „Algerien und die Sahara“ übernommen, um den Bemühungen des damaligen französischen Regierungschefs Charles de Gaulle ein Ende zu setzen, die Unabhängigkeit der seit 1830 bestehenden „Algérie française“ einzuleiten. Und sie erfuhren, dass die Generäle den Putsch nach Paris zu tragen gedachten, um „die verfassungsmäßige republikanische Ordnung wiederherzustellen, die von einer Regierung ernsthaft kompromittiert wurde, deren Illegalität vor den Augen der Nation offenliegt“.
Wiederholt sich die Tragödie als Farce? Schon der Putsch von rund 1000 Soldaten in Algier war, nach wesentlich gefährlicheren Versuchen und Barrikadenkämpfen zuvor, eine solche. Die Verschwörung endete in einem Fiasko, die Generäle Maurice Challe, André Zeller, Raoul Salan und Edmond Jouhaud, allesamt glühende Anhänger der „Algérie Française“, wurden zu Haftstrafen verurteilt (und 1968 amnestiert), andere entzogen sich durch Flucht oder wanderten in die von dem Mitverschwörer Jean-Jacques Susini gegründete Organisation de l’armée secrète (OAS) ab, eine rechtsradikale Terrororganisation, die Algeriens Unabhängigkeit mit Gewalt aufzuhalten versuchte.
De Gaulle, der nach einem früheren Militärputsch in Algier im Mai 1958 als Garant der „Algérie française“ an die Macht gekommen war, profitierte 1961 erneut, indem er die französische Verfassung änderte und sich zum Staatspräsidenten wählen ließ. Im Anschluss an den Coup d’État von Napoleon Bonaparte in den 1860er-Jahren und entsprechende Versuche des General George Boulanger in den späten 1880er-Jahren setzte sich mit de Gaulle ein Ex-Militär an die Spitze der Exekutive.
Also nur eine Farce nach der Farce? Die Wahl des symbolischen Datums zeigt, dass die revanchistischen Militärs die Lage von 1961 – eine aussichtlos gegen eine islamische Mehrheit kämpfende Truppe, die von der Regierung de Gaulle im Stich gelassen wird – auf 2021 und das französische Hexagon zu übertragen suchen: eine kleine Gruppe aufrechter Patrioten gegen die in Frankreich lebenden radikalen Muslime, die von der Regierung Macron angeblich im Stich gelassen wird.
So lächerlich die Bekundungen der Generäle i.R., sogleich als „eine Handvoll Generäle in Pantoffeln“ verspottet, wirken mag, so bedrohlich ist der Beifall der extremen Rechten, die aus der verbreiteten Irritation des Landes über nicht enden wollende Anschläge radikaler Islamisten und aus der desolaten Lage der Vorstädte mit hohen Migrantenanteilen politisch Kapital schlagen wollen. Sie beziehen sich auf die Wut der Gelbwesten-Proteste und stilisieren sich selbst als Khakiwesten, die für Ordnung sorgen.
Sogleich meldete sich Marine Le Pen mit einer Solidaritätsadresse, deren Partei Front National (heute Rassemblement National) unter ihrem Gründer (und Vater) Jean-Marie Le Pen eine direkte Ausgründung der OAS war: „Diese Soldaten wissen sehr gut, was passiert, wenn die Politiker ihren Job nicht machen, die Verfassung nicht durchsetzen. An einem Punkt ist die Situation so ernst, dass wir das Militär rufen.“
Das Beispiel zeigt, dass auch klassische Demokratien gegen eine schleichende Aushöhlung der Trennung von Militär und Politik nicht gefeit sind. Auch in Deutschland muss man den Anfängen wehren. Ein Sondereinsatzkommando der Bundeswehr, das der zuständigen Ministerin auf der Nase herumtanzt, die wiederum dem Parlamentsausschuss nicht sonderlich ernst zu nehmen scheint, stimmt nicht gerade zuversichtlich; ebenso wenig Vertrauen erweckt ein ehemaliger Generalleutnant Joachim Wundrak, der sich als „gemäßigter“ Spitzenkandidat einer Partei bewirbt, deren radikaler Flügel offen von Widerstand gegen „Umvolkung“ und „Merkel-Diktatur“ schwadroniert, sich dabei rotzfrech auf den Widerstand gegen die NS- und SED-Diktaturen beruft und die „Wende zu Ende“ bringen will. Das Parlamentarische Kontrollgremium hat sich besorgt gezeigt über Waffenbörsen und Schießübungen in den Netzwerken zwischen (Ex-)Soldaten und Reichsbürgern, die dem Militärischen Abschirmdienst schlicht „entgangen“ sind.
Das Widerstandsgerede, das sich fälschlich aufs Grundgesetz (Art. 20,4) und noch unverfrorener auf den 20. Juli 1944 beruft, bedient latente Rebellionstendenzen im Sicherheitsapparat und rüttelt an der strikten Trennung von Exekutive und Militär in einer Zeit, in der gewählte Regierungen ohnehin radikal delegitimiert werden, die Exekutive verunsichert wirkt und Verschwörungstheorien gegen die Eliten die Runde machen.
Man kann einwenden, das seien kleine Minderheiten, insgesamt sei die Bundeswehr eher „unpolitisch“. Letzteres stimmt, aber das könnte genau das Problem sein: dass Staatsbürgerkunde eine bloße Formalie ist und zur Stimmungslage bei der „Truppe“ und zu ihrer demokratischen Festigkeit kaum Daten erhoben werden.
Auch ein allzu selbstgewisses Nicht-wissen-Wollen kann demokratische Grundfeste morsch werden lassen.