Die Zukunft der transatlantischen Zusammenarbeit

Die Erstürmung des Kapitols ist der letzte und besonders bestürzende Akt der Ära Trump. Kann Biden die USA und den Westen wieder einen?

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PICTURE ALLIANCE/CONSOLIDATED NEWS PHOTOS
Nach allen protokollarischen Exerzitien nun offiziell der kommende US-Präsident: Joe Biden
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Nach allen protokollarischen Exerzitien nun offiziell der kommende US-Präsident: Joe Biden

Die Zukunft der transatlantischen Zusammenarbeit

Die Erstürmung des Kapitols ist der letzte und besonders bestürzende Akt der Ära Trump. Kann Biden die USA und den Westen wieder einen?

Angesichts der enormen weltpolitischen Bedeutung der USA ist großer Schaden, nicht nur innenpolitisch, eingetreten. Jetzt gibt es begründete Zweifel an der Stabilität des amerikanischen politischen Systems. In den Worten der Bundeskanzlerin: Das macht wütend und traurig zugleich. Die Aufgabe für die künftige Regierung wird dadurch nun natürlich noch viel größer und schwieriger. Es ist eine enorme Aufgabe, die auf Joe Biden, die zukünftige Vizepräsidentin Kamala Harris, den designierten Außenminister Tony Blinken und die anderen bereits nominierten Entscheidungsträger zukommen wird.

Natürlich werden ein Wladimir Putin und ein Xi Jinping sehr sorgfältig testen, ob dieser Joe Biden eigentlich über Macht, Strahlkraft und Rückhalt in seinem eigenen Land verfügt oder ob er nur ein mit hauchdünner Mehrheit gewählter Präsident ist, bei dem 70 Millionen Wähler weiter vor Wut kochen. Biden wird von den Rivalen und Gegnern der USA getestet und politisch auf die Probe gestellt werden. Das ist nicht ungefährlich und birgt multiple Risiken des Missverständnisses und der Fehlkalkulation. Und deswegen wird das Jahr 2021 nicht nur für Joe Biden, seinen Außenminister und seinen Verteidigungsminister eine enorme strategische Herausforderung sein, mit großen weltpolitischen Risiken, sondern auch für uns in Europa.

Wir Europäer dürfen uns deshalb jetzt nicht auf die Zuschauerbank setzen und abwarten, sondern wir sollten proaktiv mit der Biden-Regierung ein möglichst umfassendes Programm entwickeln, um zu zeigen, dass die transatlantische Zusammenarbeit – wieder – funktioniert, zum beiderseitigen Vorteil. Dass wir beispielsweise in der Frage des richtigen Umgangs mit China eine gemeinsame Linie zwischen dem eher konfrontativen amerikanischen China-Kurs und dem eher kooperativ geneigten europäischen China-Kurs finden.

Wir dürfen den transatlantischen Graben jetzt nicht noch breiter werden lassen. Was wir jetzt wirklich nicht brauchen, ist eine Stimulierung klassischer antiamerikanischer Ressentiments in Deutschland. Dieser Versuchung sollten wirklich alle in Deutschland im Wahljahr 2021 widerstehen.

Es gibt ja diesen amerikanischen Begriff der low hanging fruit, also der leicht zu pflückenden Erfolge. Etwa die baldige Rückkehr der USA in das Pariser Klimaabkommen. Das wird doch in Europa von allen begrüßt werden, von links bis rechts. Dann wird die enorm wichtige Frage sein: Gibt es eine Rückkehr zu Themen der Rüstungskontrolle, verwaist seit dem Rückzug Trumps aus dem INF-Vertrag? Kann Amerika durch eine rasche Verlängerung des New-Start-Vertrags gemeinsam mit Russland zeigen, dass es wieder imstande ist, Weltpolitik und Sicherheit positiv zu gestalten? Und was ist mit dem Iran-Abkommen? Auch das kann Amerika nur mit den europäischen Verbündeten gemeinsam anpacken, also den schwierigen Versuch unternehmen, mit den Mullahs wieder ins Gespräch zu kommen.

Die Erstürmung des US-Kongressgebäudes durch Trump-Anhänger bietet eine gewisse Chance für die Republikanische Partei, sich jetzt zu vergewissern, ob sie wirklich dauerhaft zu einer Trumpisten-Partei werden will.

Jetzt gibt es eine Chance, dass die Partei diesen Angriff auf die amerikanische Demokratie zum Anlass nimmt, nochmal kritisch zu reflektieren, ob das der richtige Weg in eine erfolgreiche Zukunft sein kann oder eben nicht.

Es müsste dazu freilich zum Beispiel ein Mitch McConnell, der republikanische Anführer im Senat, die Dinge beim Namen nennen. Sagen, der Präsident ist schuld. Er ist der Brandstifter. Das müsste aus republikanischen Kreisen jenseits von bekannten Kritikern wie Mitt Romney kommen und wäre dann der Beginn einer Selbstreinigung oder Spaltung der Republikanischen Partei. Ein spannender Vorgang, der primär innenpolitisch ist, aber von enormer weltpolitischer Bedeutung wäre.

Spätestens am 21. Januar wird sich zeigen, ob die Senatoren und Abgeordneten, von denen bereits in zwei Jahren viele wiedergewählt werden müssen, der Meinung sind, dass sie mit dem Trumpismus ihre nächste Wahl gewinnen, oder ob sie sich nicht besser lösen von diesem Spektakel. Eine große Frage wird für die Biden-Regierung sein, ob sie sich dafür einsetzt, dass Trump wegen seiner vielfachen Verfehlungen vor amerikanische Gerichte gestellt wird. Würde das die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft vielleicht nur weiter verstärken und vertiefen? Das sind schwierige Fragen. Es sind zwar nicht 70 Millionen jetzt in Washington angetreten, aber diese etlichen Tausend, die sich da versammelt hatten, sind ja nichts anderes als die Speerspitze der 70 Millionen. Die Verführungsmacht, zu der ein Donald Trump in den letzten Jahren fähig wurde, sucht wirklich in demokratischen Staaten ihresgleichen, und das muss uns alle zu der Frage führen: Worin liegen eigentlich die tieferen Ursachen? Ist das die Macht des Internets? Die direkte Kommunikation via Twitter, der direkte Umgang, den der Präsident gesucht hat mit seinen Wählern? Oder liegen die tieferen Ursachen eher im Gefühl der weißen US-Unter- und unteren Mittelschicht, wirtschaftlich abgehängt und marginalisiert worden zu sein? Dazu kommt dann noch der Ballast des immer noch kursierenden Rassismus.

Wenn Joe Biden zeigen kann, dass Amerika tatsächlich wieder demokratisch prinzipientreu ist, wenn er die guten und großzügigen Elemente amerikanischen Denkens wiederbeleben kann, die Amerika befähigt haben, 70 Jahre lang als Führungsnation des Westens zu agieren, kann das für ihn selbst und auch für die transatlantischen Beziehungen durchaus eine Erfolgsgeschichte werden. Aber ein steiniger Weg liegt vor ihm.

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