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Kolumne | Direktnachricht

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DPA/APA/PICTUREDESK.COM
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Kolumne | Direktnachricht

Wenn es um sexualisierte Gewalt geht, herrscht geradezu ein „Gesetzesfetisch“ in Deutschland. Jemand hat dir etwas angetan? Zeig es an! Sonst darfst du gar nicht erst anfangen, darüber zu reden. Du hast nicht angezeigt?! Dann beschwer dich auch nicht. Kaum ist das Tabu gebrochen, überhaupt offen sexualisierte Gewalterfahrungen anzusprechen, wird Betroffenen mit diesem „Tipp“ direkt wieder über den Mund gefahren.

Angemessene Gesetze und ein funktionierendes Justizsystem sind natürlich nötig und wichtig. Der Status quo macht Ermittlungen und Gerichtsprozesse aber immer noch zur hohen Hürde für Betroffene: mögliche Retraumatisierung, verjährte Taten, Aussage gegen Aussage, Richter_innen, die Taten aufgrund von Vergewaltigungsmythen verzerrt beurteilen etc.

Gerichte können also falsche und unzureichende Entscheidungen treffen oder Ermittlungsbehörden wegen Arbeitsüberlastung versagen. Sie ohne jegliche Verbesserungsforderungen als einzigen und korrekten Weg darzustellen, der Gerechtigkeit für Betroffene schaffen kann, ignoriert die Realität. Es zeigt außerdem, dass wir als Gesellschaft dringend weitere Werkzeuge im Umgang mit sexualisiertem Machtmissbrauch benötigen – gerade, wenn es um Taten geht, die nicht justiziabel sind und trotzdem ein No-Go.

Auch die Erfinderin von #MeToo, Tarana Burke, setzt auf eine Restorative Justice und sagt: „Sexualisierte Gewalt geschieht auf einem Spektrum, also muss auch Rechenschaft auf einem Spektrum passieren.“

Dieses flexible Modell der Wiedergutmachung bietet Opfern und Täter(_innen) die Möglichkeit übereinzukommen – in Deutschland existiert hierfür bereits ein Ansatz in Form des außergerichtlichen Täter-Opfer-Ausgleichs. Die Kernfrage lautet: Wie sieht Gerechtigkeit aus Perspektive der betroffenen Person aus? Sie und ihre Anliegen stehen also im Mittelpunkt. Gleichzeitig werden die Strukturen betrachtet, in denen es zum Übergriff kam, und was an ihnen verändert werden muss, um die Gewalt künftig zu verhindern.

Die hohe Dunkelziffer bei sexualisierter Gewalt entsteht, weil unsere Gesellschaft Betroffene mit Scham und Vorwürfen überzieht, sobald sie es wagen, darüber zu sprechen. Dabei geben viele von ihnen häufig an, nur etwas zu sagen, um andere potenzielle Opfer zu schützen. Ihr Sprechen bedeutet auch immer: Aufklärung und Prävention. Es wird Zeit, dass dies endlich als der Dienst an unserer Gesellschaft verstanden wird, der er ist.

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