Diese vermaledeiten Hauptstädte

Politische Bierzeltrauferei, Tirols Platter und Bayerns Söder, Wien und Berlin – alle gegen alle

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PICTURE ALLIANCE/EXPA /APA/PICTUREDESK.COM
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Diese vermaledeiten Hauptstädte

Politische Bierzeltrauferei, Tirols Platter und Bayerns Söder, Wien und Berlin – alle gegen alle

Eigentlich sind sie zwei vom selben Schlag: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Tirols Landeshauptmann Günther Platter. Als Chef der Christlich-Sozialen Union (CSU) vertritt Söder die Interessen seines Freistaates selbstbewusst gegenüber der CDU-geführten Berliner Bundesregierung. Platter wiederum steht der Tiroler Volkspartei vor, die sich ebenso selbstbewusst und erfolgreich gegen die von Bundeskanzler Sebastian Kurz ausgerufene Neuausrichtung der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zur türkisen Bewegung verwehrt hat.

Als Platter 2018 nach zehn Jahren im Amt mit einem satten Plus die Tiroler Landtagswahlen erneut dominierte – nur ein Sitz fehlt ihm zur absoluten Mehrheit im Regionalparlament – fuhr er diesen Triumph als „schwarze Tiroler Volkspartei“ ein. Wien ist von Innsbruck aus gesehen oft sehr weit weg. Denn dass diese vermaledeiten Wiener die Tiroler anno 1809 im Stich gelassen hatten, als die mit Napoleon verbündeten Bayern anrückten, hat man ihnen in den Bergen bis heute nicht verziehen.

Das Bundesland Tirol gilt in Österreich als Sonderfall, ähnlich wie Bayern in Deutschland. Wirtschaftlich steht man dank Tourismus und Industrie gut da. Dementsprechend werden Partikularinteressen gegenüber dem Bund oft polternd und unnachgiebig vertreten. Tirol ist das einzige Bundesland Österreichs, das sogar seine eigene Außenpolitik betreibt – vor allem gegenüber Deutschland und dem direkten Nachbarn Bayern. Zuletzt wurde das im Transitstreit deutlich.

Im Frühjahr 2019 eskalierte dieser seit Jahrzehnten schwelende Konflikt. Es geht um den Güterverkehr, der die Alpen in Nord-Süd-Richtung quert. Die schnellste und billigste Route zwischen Hamburg und Palermo führt über den Tiroler Brennerpass. Das Bundesland erstickt im Schwerverkehr. Wenn dann noch die Deutschen in den Sommerurlaub aufbrechen, geht in Tirol verkehrstechnisch gar nichts mehr.

Als Platter in „Notwehr“ deshalb Fahrverbote für den Durchreiseverkehr abseits der Hauptrouten verhängte, fühlte sich Söder „diskriminiert“ und sah „die Freiheit“ der Bayern in Gefahr. Er rief zum Urlaubsboykott in Tirol auf. Das ging den Nachbarn zu weit, gilt ihnen der Fremdenverkehr doch als derart sakrosankt, dass sie dafür sogar die Anwesenheit von Wienern und Piefkes im „heiligen Land Tirol“ in Kauf nehmen.

Berlin und Wien versuchten, zwischen den Streithanseln zu vermitteln. Doch der alpine Haussegen hängt seitdem schief, und die Coronakrise hat den bayrisch-tirolerischen Graben endgültig zur unüberwindbaren Schlucht werden lassen. Mit der Einstufung Tirols, wo seit Jahresbeginn die südafrikanische Variante des Coronavirus grassiert, als „Mutationsgebiet“ und der darauffolgenden Schließung der bayrischen Grenze zum Nachbarn hat Söder das letzte Seil gekappt, das die konservativen Bergkameraden verbunden hat.

Denn ohne die Autobahnverbindung über das so genannte Deutsche Eck ist Tirol gefühlt von Restösterreich abgeschnitten. Schon die Einführung der Grenzkontrollen auf bayrischer Seite im Zuge der Krise der europäischen Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 nahm man als Affront wahr. Dass Söder die Verbindung nun gänzlich kappte, ging zu weit. Platter war derart erbost, dass er über Social Media ausrichten ließ: „Seit Wochen lässt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder keine Gelegenheit aus, um Attacken gegen Tirol zu reiten. Diese ständigen abschätzigen Bemerkungen sind letztklassig und eines Ministerpräsidenten nicht würdig. So geht man mit Nachbarn nicht um.“

Söders Muskelspiele sind vor dem Hintergrund seiner Kanzlerambitionen zu sehen. Und im Zuge der Corona-Pandemie haben sich die streitbaren Nachbarn auf Tiroler Seite der Grenze auch nicht immer zimperlich gezeigt. Als etwa bekannt wurde, dass im Frühjahr 2020 vom Skiort Ischgl ausgehend tausende deutsche Urlauber das Virus als Souvenir mit nach Haus gebracht hatten, rückte Bundeskanzler Kurz zur Ehrenrettung seiner Tiroler aus und mutmaßte mehrfach medial, dass Corona vielmehr über München den Weg nach Ischgl gefunden habe.

Nun, da Tirol ein Jahr später dank Südafrika-Mutante abermals zum Pandemie-Hotspot Europas avanciert, sucht man die Schuld dafür erneut lieber im süddeutschen Raum. Hieß es erst, Tiroler Hoteliers, die den spätherbstlichen Lockdown nutzten, um in Südafrika zu golfen, hätten das Virus ins Land gebracht, so führt „die Spur“ mittlerweile nach Bayern – echte Belege dafür fehlen allerdings noch.

Mit der Schließung der Grenze hat Söder die bayrisch-tirolerische Freundschaft in ihre bislang schwerste Krise gestürzt. Wie nachhaltig der angerichtete Schaden wirklich ist, wird sich zeigen, wenn das Coronavirus besiegt ist. Dann müssen sich die Streithanseln wieder der ungelösten Transitfrage stellen. Von einer Deeskalation ist nicht auszugehen, da sich Söder wie auch Platter als Nabel ihrer jeweiligen Welten verstehen. Berlin und Wien werden dann wieder schlichtend ausrücken müssen, wenn die Kontrahenten, ganz im Stile einer Bierzeltrauferei, die politischen Fäuste spielen lassen. Denn eigentlich sind sie eben zwei vom selben Schlag.

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