Dilemmata

Editorial des Verlegers

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Dilemmata

Editorial des Verlegers

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist schon eine Krux: Da gibt es nicht zu wenige Menschen in Deutschland, die der festen Überzeugung sind, dass alles Schlechte der Welt aus den USA stammen muss; und der Reflex lässt sich selbst dann nicht unterdrücken, wenn Russland die Ukraine überfällt und Moskau überhaupt nicht verhehlt, was es beabsichtigt. Dabei können sich die extremen linken und rechten Lager überraschend schnell einigen, wenn es darum geht, die USA (oder vermeintliche Stellvertreter wie die Nato, die CIA oder „Wall Street“ oder, besonders sinister, „Ostküstenintellektuelle“) zum Hauptschuldigen und eigentlichen Kriegstreiber zu ernennen. Leider machen es die USA einem aber derzeit auch nicht gerade leicht, diese kruden Thesen zurückzuweisen und das Land gegen derlei Anschuldigungen zu verteidigen. So zeigt der Untersuchungsausschuss des US-Kongresses auf bestürzende Art und Weise in Anhörung nach Anhörung, wie nahe das Land in den letzten Tagen der Trump-Regierung an einem Staatsstreich vorbeigeschliddert ist – und die Anhänger des ehemaligen Präsidenten auch durch die Aussagen seiner einst wichtigsten Mitarbeiter nicht von dem Irrglauben abzubringen sind, ihr Idol habe die Wahl in Wahrheit gewonnen. Dazu vollzieht der Supreme Court, nachdem Trump drei stramm ideologisch bis schlicht parteiisch denkende Richter dort unterbringen konnte, berufen auf Lebenszeit, eine aberwitzige Entscheidung nach der anderen.

Unsere Autorin Heike Paul fasst die Gemengelage in dieser Ausgabe des Hauptstadtbriefs mit bestechender Expertise zusammen. Die Amerikanistin der Universität Erlangen-Nürnberg ordnet diese richterlichen Entscheidungen klug ein. Die kruden Vorstellungen über Amerika zurückzuweisen und die Zustände im Land dennoch nicht beschönigend abzutun, bleibt allerdings unsere Aufgabe.

Im zweiten Beitrag klärt unser Coronaexperte Frank Hofmann über einige bisweilen haarsträubende Fehler der Pandemiepolitik auf, die in der Großen Koalition begonnen, sich aber vor allem mit dem Eintritt der FDP in die Bundesregierung noch verschärft haben. Mehr als zweieinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie bleibt die Fahrlässigkeit, gepaart mit trotzigem Wunschdenken, ein gesundheits- und gesellschaftspolitisches Großproblem.

Günter Bannas begibt sich in seiner Kolumne Aus dem Bannaskreis auf die Spur, woher die sozialdemokratische Neigung – oder das Widerfahrnis – stammt, sich so häufig mit Parteiausschlussverfahren beschäftigen zu müssen.

Anne Wizorek macht sich in ihrer Direktnachricht für den Klimawandel stark – aber in der Politik, die dringend mit kühlem Kopf auf die immensen Auswirkungen des Temperaturanstiegs und andere menschengemachte Wetterphänomene reagieren müsste.

Im Postskriptum empfiehlt Lutz Lichtenberger angesichts der aktuellen Antisemitismus-Debatten eine kreative und literarisch wertvolle Denkpause mit der Lektüre der großartigen Autorin Gabriele Tergit.

Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich bis zur nächsten Woche

Ihr Detlef Prinz

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