Der „globale Westen“ sendet Lebenszeichen vom G7-Gipfel – nicht zuletzt dank Olaf Scholz
Der „globale Westen“ sendet Lebenszeichen vom G7-Gipfel – nicht zuletzt dank Olaf Scholz
Berge, so hatte Bundeskanzler Olaf Scholz vor der imposanten Alpenkulisse von Schloss Elmau bei Beginn des G7-Gipfels in der ihm eigenen Art angekündigt, würde man hier nicht versetzen. Doch das in den drei Tagen Erreichte kann sich durchaussehen lassen.
Die Frontstellung gegen Wladimir Putins Russland und dessen verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine ist gestärkt; die internationale Hilfe zur Linderung der weltweiten Ernährungskrise, die Putin bewusst herbeigeführt hat, ist angelaufen. Das Herzensprojekt des Kanzlers, die Gründung eines internationalen „Klimaclubs“, der dafür sorgen soll, dass die Dekarbonisierung der Volkswirtschaften in aller Welt koordiniert und nicht gegeneinander abläuft, ist auf dem Weg, bis Ende des Jahres zu einer internationalen „Arbeitsstruktur“ (Scholz) zu werden, worüber sich der Kanzler „sehr glücklich“ zeigte.
Und vielleicht am wichtigsten: Scholz und seine Mannschaft, nicht zuletzt G7-„Scherpa“ Jörg Kukies und Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, haben es verstanden, gegen die tendenzielle Zweiteilung der Welt in „G7 versus BRICS+“ – also in einen „globale Westen“ inklusive Japans auf der einen Seite, die Putins massive Völkerrechtsverletzung konsequent ahnden, und das „Aufsteigerbündnis“ aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika plus weiterer Staaten auf der anderen Seite, die ihre Beziehungen zu Putins Russland eher intensivieren wollen – ein wichtiges Zeichen zu setzen.
Die als Partner eingeladenen Indonesien und Indien, dieses und kommendes Jahr Gastgeber der G20, aber auch die ebenfalls in Schloss Elmau hinzugebetenen Länder Südafrika, Senegal und Argentinien seien allesamt Demokratien, die sich zu den Prinzipien der UN-Charta bekennen würden, für die Unantastbarkeit von Grenzen seien und von ihren Nachbarn nicht überfallen werden wollten, konnte Scholz bei der Abschlusspressekonferenz glaubhaft versichern, wenngleich die entsprechende Abschlusserklärung Russlands Aggression nicht explizit erwähnte. Man habe auf „Augenhöhe“ miteinander gesprochen und gemeinsam „neue Konsense“ formuliert. Dazu gehört wohl auch die Ansicht, so legte Scholz zumindest nahe, dass man sich einig sei, dass der Krieg gegen die Ukraine eine Gefahr für Frieden und Stabilität in der ganzen Welt sei – und eben nicht nur in Europa.
Demokratische Freunde
Die Hoffnung, gegen Putin und potenziell auch das ihn unterstützende China unter Staats- und Parteichef Xi Jinping (das allerdings zuletzt schon erste Absetzungstendenzen zeigte) demokratische Partner in aller Welt zu finden, scheint also nicht ohne Berechtigung. Von Schloss Elmau geht so das wichtige Signal aus, dass die Bemühungen darum eben nicht vergebens sind. In Richtung China äußerte sich Scholz übrigens für seine Verhältnisse relativ deutlich: Man erwarte, dass Peking die gegen Russland gerichteten Sanktionen nicht unterlaufe, und bemühe sich darüber hinaus um gute Beziehungen zu allen Staaten des „wieder aufstrebenden Asiens“.
Das untermauerten die G7 mit der Ankündigung eines 600 Milliarden Dollar schweren globalen Infrastrukturprogramms, nunmehr Partnership for Global Infrastructure and Investment (GPII) geheißen, von denen die Vereinigten Staaten allein 200 Milliarden bereitstellen wollen. Es ist ein Angebot vor allem an den globalen Süden und zielt darauf, Xis Belt and Road Initiative (BRI), in Europa propagandistisch-griffig als „Neue Seidenstraßen-Initiative“ bekannt, etwas entgegenzusetzen.
Dabei geht es auch um die Zusammenarbeit in Sachen Klimaschutz. Wenngleich sie bei der Erdgas-Infrastruktur die bei der Klimakonferenz in Glasgow gemachte Zusage, hierin nicht mehr investieren zu wollen, aufweichen („unter außergewöhnlichen Umständen“ könnten diese angemessen sein, heißt es im Kommuniqué), geht es Scholz und den anderen vor allem um Projekte der Energie- und Klimawende. Als Beispiel führte Scholz ein mit einem 300-Millionen-Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gefördertes Projekt zur Verbesserung des Stromnetzes in Südafrika an; auch mit Indien und Vietnam sei Ähnliches geplant.
Hilfe „solange wie notwendig“
„Geschlossen und entschlossen“ zeigten sich die G7-Länder aber vor allem in Sachen Unterstützung für die Ukraine – in einer wichtigen Phase des Krieges. Putin sandte sein ganz eigenes Zeichen in Richtung des einstigen G8-Kreises, aus dem er 2014 nach der Annexion der Krim verstoßen wurde, und sorgte in einem Einkaufzentrum im ukrainischen Krementschuk per Raketenbeschuss für ein Inferno.
Die Botschaft, die Ukraine werde militärische, finanzielle, wirtschaftliche und humanitäre Hilfe zur Selbstverteidigung erhalten, „solange das notwendig ist“, war nach dem EU-Beitrittskandidatenstatus ein weiteres wichtiges Signal für das geschundene Land. Scholz machte deutlich, dass die G7 nicht mit einem baldigen Kriegsende und einem Einlenken Putins rechnen – umso wichtiger dieses „whatever it takes“, wie es einst der damalige EZB-Chef Mario Draghi in Bezug auf die Stabilisierung des Euros gesendet hatte. Mit zugesagten fast 30 Milliarden Dollar an Budgethilfe ist nun auch erstmal der ukrainische Haushalt bis Ende des Jahres halbwegs gesichert.
Begrüßenswert war auch, dass Scholz einmal mehr deutlich machte, dass „Zeitenwende“ bedeute, dass „nichts mehr so wird, wie es vor dem 24. Februar gewesen ist“. Man werde die Kosten für Putin hochhalten und auch noch weiter in die Höhe treiben – wenngleich beim Gipfeltreffen diskutierte Preisobergrenzen für russisches Erdgas und -öl sich weder einfach noch schnell werden umsetzen lassen. Doch die G7 als wohl wichtigster Rahmen für die Koordinierung von Sanktionen zwischen Washington, Toronto, Brüssel, London und Tokio haben sich in Schloss Elmau einmal mehr bestätigt.
Ein Marshallplan für die Ukraine
Dass Scholz außerdem ankündigte, gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Konferenz zur Planung und Koordinierung eines „Marshallplans für die Ukraine“ zum Wiederaufbau des Landes zu organisieren, zeugt von einem Bundeskanzler, der auf der Weltbühne enorm an staatsmännischem Format gewonnen hat. Scholz wies darauf hin, dass die historische Analogie zur wirtschaftlichen Stützung Europas 1947 durch die Vereinigten Staaten nicht zu hoch gegriffen sei. Es werde um „viele Jahre“ des Wiederaufbaus des von Putin in Teilen buchstäblich dem Boden gleichgemachten Landes gehen; und die finanziellen Konsequenzen werde man noch deutlich länger spüren: „Das muss die Weltgemeinschaft leisten.“
Wenn all das gelingt, bewegen sich damit keine Gebirgszüge. Aber der Bundeskanzler hätte einiges dazu beigetragen, der Weltpolitik in einem entscheidenden Moment den – wie Scholz halb verschmitzt, halb bescheiden sagte – „richtigen Drive“ zu geben.