Die ökologische Neuausrichtung der Wirtschaft ist keine ideologische Verirrung, sondern eine auch ökonomische Notwendigkeit und Zukunftsinvestition
Die ökologische Neuausrichtung der Wirtschaft ist keine ideologische Verirrung, sondern eine auch ökonomische Notwendigkeit und Zukunftsinvestition
Nichts ist wirtschaftsfreundlicher als Klimaschutz, weil es ohne Klimaschutz gar kein Wirtschaften mehr geben wird, nur noch Katastrophenmanagement in einer instabilen Welt. Sicherlich wird es auch in der Post-2-Grad-Welt Menschen geben, die sich an der Not der anderen bereichern, aber es wird kaum noch Orte geben, an denen diese Klimakrisengewinner ihren Reichtum genießen können. Denn: „nowhere is safe“, wie der Guardian Anfang Juli auf seine Titelseite schrieb, unter dem furchteinflößenden Bild einer der vielen Feuerbrünste des Sommers 2021. Es gibt keinen sicheren Ort mehr auf der Welt, von dem aus wir die Katastrophen der anderen betrachten könnten.
Das heißt auch: nothing is safe. Die steigende Instabilität der ökologischen Systeme, die zu irreversiblen Kipppunkten führt, wird sich natürlich auch auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen auswirken und damit auf die Finanzen von Unternehmen. Dürren folgen Missernten folgen Aufstände folgen politische Radikalisierungen, schlimmstenfalls Terror oder Krieg. Das mag für die Waffenindustrie attraktiv klingen, doch für die meisten Branchen sind das keine guten Perspektiven.
Das Ende falscher Hoffnungen
Keine Sicherheit also, nirgends. Schon jetzt nicht und erst recht nicht in den nächsten Jahrzehnten – oder nur Jahren, wenn sich die Krise weiter so beschleunigt. Aus den Hypothesen, Prognosen und Warnungen der Klimaforscherinnen sind längst Fakten geworden, aus Risiken manifeste Schäden. Wer nach den ersten IPCC-Berichten noch hoffte, die Klimawissenschaft könnte sich geirrt haben und die schlimmsten Szenarien würden schon nicht eintreten, sieht sich getäuscht. Nach allem, was die Erdsystemwissenschaften inzwischen erforscht haben, waren die vertrockneten oder verbrannten Wälder und die überschwemmten Täler, die Hitze in Kanada, die Sturzfluten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erst der Anfang.
Kurz: Wer also eine wirtschaftsfreundliche Umgebung erhalten will, sollte alles daransetzen, die Auswirkungen der Krise jetzt abzubremsen. Das bedeutet, fossile Emissionen und Flächenverbrauch so schnell wie möglich zu stoppen, den Ressourcenverbrauch zu minimieren und ebenso die soziale Ungleichheit.
Doch genau das passiert nicht. Obwohl selbst das World Economic Forum seit Jahren die ökologischen Krisen und ihre katastrophalen Auswirkungen auf die Wirtschaft im Global Risk Report immer wieder beschwört, scheinen viele – nicht alle! – Unternehmen und vor allem die Lobbyisten der Wirtschaftsverbände das schlicht zu ignorieren – oder nicht wirklich zu verstehen, wie die Transformationsforscherin Maja Göpel vermutet. „Die Irreversibilität der Veränderung ökologischer Systeme in ihrer Regeneration ist, glaube ich, einfach noch nicht begriffen worden“, sagte sie bei der Vorstellung von Scientists for future im Mai 2019 in Berlin. Dieses Zitat wurde in den digitalen sozialen Medien immer wieder geteilt, vor allem von denen, die mit wachsender Verzweiflung die Untätigkeit vieler ökonomischer Akteure, Verbände und Wirtschaftspolitiker verfolgen.
Angst vor der Angst
Der Philosoph Günther Anders hat dieses Leugnen schon vor einem halben Jahrhundert als Apokalypse-Blindheit bezeichnet, damals bezogen auf die atomare Bedrohung im Kalten Krieg. Weil die Menschen Angst vor der Angst haben, meinte Anders, denken sie nicht über die menschengemachte Weltgefahr nach. Sie verdrängen sie, statt sich ihr zu stellen. Der Gegenstand, „der uns eigentlich ohne Unterbrechung mit bedrohlicher und faszinierender Überdeutlichkeit vor Augen stehen müßte, steht umgekehrt gerade im Mittelpunkt unserer Vernachlässigung; von ihm fortzusehen, fortzuhören, fortzuleben, ist das Geschäft der Epoche.“
Günther Anders kam damals zu dem Schluss, dass die Menschen ihren „eigenen Produkten und deren Folgen phantasie- und gefühlsmäßig nicht gewachsen sind“. Dass ihre Vorstellungskraft also nicht reicht, sich das Ausmaß der möglichen Atomkatastrophe vorzustellen. Anders schrieb, dass grundsätzlich „das Volumen des Machens und Denkens ad libitum ausdehnbar ist, während die Ausdehnbarkeit des Vorstellens ungleich geringer bleibt; und die des Fühlens im Vergleich damit geradezu starr zu bleiben scheint“.
Politische Vermeidungsprogramme
Das gilt nicht nur für die atomare Bedrohung, sondern auch für unsere Wohlstandsschuld, unsere Konsumverstrickung und natürlich die Klimakrise: Unsere Vorstellungskraft ist den Folgen unseres ökonomischen Handelns und unserer fossilen Lebensstile nicht gewachsen.
Der Psychologe und Marktforscher Stephan Grünewald hat in diesen Wochen in Tiefeninterviews die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger vor der Bundestagswahl analysiert und festgestellt, dass sich „die krisengeschüttelten Menschen“ zurzeit am liebsten „in ihr privates Schneckenhaus“ zurückziehen. Sie spürten, so Grünewald, dass sie in einem Machbarkeitsdilemma steckten: Alle wüssten, dass es so nicht weiter gehe, aber die Menschen hätten gleichzeitig Angst vor der als notwendig empfundenen Veränderung.
SPD, CDU und die Liberalen versuchen, dieses Dilemma in ihren Wahlprogrammen aufzulösen, indem sie suggerieren, dass Klimaschutz und Konstanz zu vereinbaren seien. Das verstärken sie durch die Diffamierung der Grünen als Verbots- und Verzichtspartei. Damit lenken sie ab von der dringenden Notwendigkeit, klimaschädliche Subventionen sofort zu beenden und einen politischen Rahmen zu schaffen, in dem klimafreundliche und innovative Unternehmen faire Chancen haben. Je größer die Angst der Menschen vor der Veränderung ist und je geringer ihr Vertrauen in ihr Gestaltungsvermögen in der Transformation, desto eher dürfte diese Taktik aufgehen. Doch die Unaufrichtigkeit löst keine Probleme, sondern schafft nur neue – spätestens dann, wenn der Klimaschutz juristisch erzwungen werden wird.
Vor 15 Jahren – 2006 – hat der ehemalige Chefökonom der Weltbank Nicholas Stern vorgerechnet, dass die Klimakrise mit enormen ökonomischen Kosten verbunden sein werde, dass Klimaschutz also als Investition in die Vermeidung von Kosten zu sehen sei. Seitdem sind 15 wertvolle Jahre vergangen, in denen zwar viele Vorreiterinnen sich aufgemacht haben, diese Investitionen zu tätigen, in denen aber das Gros der Unternehmen – bestätigt durch überwiegend klimafeindliche politische Rahmenbedingungen – im Status quo verharrte. Je länger sie warten, diesen Investitionsstau aufzulösen, je heftiger sie gegen wissenschaftlich fundierte Klimaschutzpolitik lobbyieren, desto teurer werden die Folgekosten. Die Transformation der Wirtschaft wird sich nicht länger aufhalten lassen, die Frage ist nur, ob by design or by desaster.