Russland, Iran, Klima: Joe Biden hat viel zu tun
Russland, Iran, Klima: Joe Biden hat viel zu tun
Das erste Amtsjahr von US-Präsident Joe Biden erscheint weitaus erfolgreicher, als es den Anschein hat, wenn man es aus einem umfassenderen Blickwinkel betrachtet. An dem Tag, an dem er sein Amt antrat, hatte das Land kurz zuvor einen beispiellosen Putschversuch erlebt, den die Republikaner immer noch nicht als solchen anerkennen wollen. Die weltweite Coronapandemie befand sich auf ihrem absoluten Höhepunkt. Und zudem musste sich Bidens Demokratische Partei an hauchdünne Vorsprünge im Kongress klammern, die einzelnen Senatoren einen signifikanten Einfluss auf jede politische Änderung ermöglichen.
Angesichts der Probleme, vor die sich Biden gestellt sah, verdient er Respekt für das, was er in seinem ersten Jahr erreicht hat. Die Trump-Administration hat so gut wie keinen Plan für die Verabreichung von Impfstoffen hinterlassen – inzwischen sieht es hingegen so aus, dass über 200 Millionen Amerikaner mindestens eine Impfung erhalten haben und die Impfstoffe für jeden Amerikaner kostenlos erhältlich sind. Die globale Impfstoffpolitik der Regierung Biden ist überdies ein Beispiel für die internationale Führungsrolle der USA: Washington hat sich verpflichtet, weltweit rund 600 Millionen Impfdosen an bedürftige Länder zu verteilen. Die USA haben ebenfalls die zuvor ramponierten Beziehungen zu ihren traditionellen Verbündeten wiederhergestellt, unter anderem durch den Wiedereintritt in das Pariser Klimaabkommen und das erneuerte Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsorganisation.
Doch das Jahr 2022 wird dem US-Präsidenten keine große Erholung bescheren. Hier ein kurzer Ausblick auf die größten Aufgaben, mit denen er sich konfrontiert sehen wird:
Russland: Es ist unmöglich zu sagen, ob der russische Präsident Wladimir Putin wirklich die Absicht hat, den russischen Truppen, die er an der ukrainischen Grenze zusammengezogen hat, den Befehl zum Einmarsch in die Ukraine zu geben. Klar scheint nur zu sein, dass die Ukrainer keinesfalls begierig darauf sind, von Moskau besetzt oder regiert zu werden. Darum ist vielleicht der gewichtigste Grund, nicht mit einer russischen Invasion zu rechnen, der, dass es für Putin durchaus unwägbar bleibt, ob er tatsächlich die Kosten tragen kann, die ihm durch die wütende Gegenwehr der Ukrainer entstünden.
Dennoch erwartet man von Biden, dass er im Namen des Westens eine deutliche Antwort im Falle einer solchen russischen Invasion zu geben bereit ist. Diese würde mindestens einschneidende Wirtschaftssanktionen gegen Moskau selbst sowie die militärische Verstärkung der östlichen Nato-Mitglieder umfassen (ein Schritt, der den ausdrücklichen Zielen Putins direkt entgegengesetzt ist). In den laufenden Verhandlungen mit der russischen Regierung setzt Biden offensichtlich darauf, dass die Androhung solcher Reaktionen in Verbindung mit einigen sorgfältig überlegten diplomatischen Zugeständnissen die russische Regierung zu einer Deeskalation zu bewegen vermag.
Aber nichtsdestotrotz steckt Biden in einer nahezu ausweglosen Situation. Hardliner in den Vereinigten Staaten würden wahrscheinlich jede diplomatische Übereinkunft mit Russland als naive und schwache Appeasement-Politik verurteilen. Gleichzeitig ist die Bereitschaft der Amerikaner, sich in einen „heißen“ Krieg verwickeln zu lassen – und dies auch noch weit weg von den Vereinigten Staaten und direkt vor der Haustür Russlands –, äußerst gering. Es fällt auch schwer, sich eine um Ergebnisse bemühte Verhandlungsposition vorzustellen, die trotzdem Stärke signalisiert: Selbst wenn Washington Waffen nach Kiew schickt, würde dies das Kräfteverhältnis nicht ausreichend verändern, um Russland von einer Invasion abzuhalten. Die Herausforderung für Biden (und die Nato) besteht darin, eine Lösung zu finden, wie die ukrainische Unabhängigkeit bewahrt werden kann, ohne den Eindruck zu vermitteln, dass man der russischen Erpressung nachgegeben hätte.
Iran: Donald Trumps Entscheidung, aus dem Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (JCPoA) mit dem Iran auszusteigen, war eine der unsinnigsten außenpolitischen Entscheidungen der vergangenen 50 Jahre. Denn teilweise infolge der von Trump und seinem Außenminister Mike Pompeo organisierten „Maximaldruck“-Kampagne verfügt der Iran inzwischen über mehr hochangereichertes Uran, als er besessen hätte, wenn Trump das Abkommen nicht einseitig torpediert hätte. Außerdem besitzt das Land nun zahlreichere und noch höherentwickelte Zentrifugen unter der Kontrolle einer weitaus unnachgiebigeren Regierung. Anstelle einer Entwicklungszeit von einem Jahr oder mehr könnte der Iran bald in der Lage sein, eine Bombe in nur wenigen Wochen zu bauen. Und die Verhandlungen zur Wiederherstellung der Sicherheitsvereinbarungen des ursprünglichen Abkommens haben auch unter Biden kaum Fortschritte gemacht.
Es überrascht also nicht, dass die jetzige Situation zu einer erneuten Diskussion über mögliche militärische Aktionen der Vereinigten Staaten oder Israels gegen die nukleare Infrastruktur des Iran geführt hat. Es besteht jedoch weithin Übereinstimmung darüber, dass solche präventiven Angriffe die Fähigkeit des Iran, eine Atombombe zu entwickeln, nur für eine unbestimmte Zeit verzögern, nicht aber vollständig zerstören können.
Die Optionen, die sich für Biden jetzt abzeichnen, sind nicht gerade attraktiv. Es ist so gut wie sicher, dass US-Konservative das Jahr 2022 nutzen werden, um die Möglichkeit eines israelischen Präventivschlags und die Notwendigkeit, dass das amerikanische Militär eine solche Mission unterstützt – oder sogar die Verantwortung für einen eigenen Angriff übernimmt –, ausgiebig ins Spiel zu bringen. Bidens Herausforderung liegt darin, dass eine erneute diplomatische Einigung mit dem Iran zwar durchaus die Androhung von militärischer Gewalt erforderlich machen könnte, aber solche Signale überzeugten Verbündete wie Israel möglicherweise davon, dass sie in jedem Fall den Schutz der USA hätten, wenn sie selbst einen Angriff starteten. Biden hat zwar klar zum Ausdruck gebracht, dass er eine Umverteilung der strategischen Ressourcen der USA in Richtung Asien bevorzugt, doch der Iran wird dafür sorgen, dass er den Nahen Osten nicht ignorieren kann.
Klima: Die Regierung Biden ist durch eine augenfällige Divergenz zwischen Wahlkampfambitionen und einer verwässerten Regierungsführung gekennzeichnet. Zwar hat Biden sein Versprechen, dem Pariser Klimaabkommen wieder beizutreten, gehalten. Aber das Wahlprogramm der Demokraten sah auch vor, dass der Elektrizitätssektor des Landes bis 2035 kohlenstofffrei und die gesamte US-Wirtschaft bis 2050 vollständig kohlenstoffneutral sein würde – Ziele, die auch die Regierung Biden nie verleugnet hat. Doch die zentralen Maßnahmen, mit denen diese Zeitrahmen eingehalten werden sollen, haben keine realistische Chance, den Kongress zu passieren. Die Regierung wird nicht einmal annähernd die zwei Billionen Dollar erhalten, die laut Biden zur Finanzierung der Infrastruktur für erneuerbare Energien nötig wären. In der Zwischenzeit hat sich darüber hinaus Senator Joe Manchin aus dem kohlefördernden US-Bundesstaat West Virginia geweigert, ein Gesetz zu verabschieden, das die Nutzung fossiler Brennstoffe im Energiesektor ausdrücklich mit negativen Anreizen belegen wollte, wie es Bidens Kampagne vorsah. Gleichzeitig hat sich die Biden-Administration bei den erdölproduzierenden Ländern des Nahen Ostens (OPEC) ganz offen dafür eingesetzt, dass diese ihre Produktion erhöhen – in der Hoffnung, dass die Benzinpreise für die US-amerikanischen Autofahrer sinken.
Die bestehende Klima-Agenda der Biden-Administration – einschließlich des Setzens von Steueranreizen zur Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien – ist nun keinesfalls aktiv klimaschädlich. Alles in allem wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Reduzierung der Kohlenstoffemissionen des Landes beschleunigen. Aber bei jeder halbwegs fairen Berechnungsgrundlage sind diese Maßnahmen nicht ausreichend, um den Klimawandel innerhalb der zeitlichen Vorgaben aufzuhalten, die in der Pariser 1,5-Grad-Verpflichtung festgelegt sind, das heißt eine 50-prozentige Reduzierung der Emissionen bis 2035 und eine vollständige globale Kohlenstoffneutralität bis 2050. Die Frage, die sich Biden nun stellen muss, ist, ob er Mittel und Wege finden kann, um die Exekutivbefugnisse, die einzig und allein ihm als Präsidenten zur Verfügung stehen und die in Gestalt von strengeren Umweltvorschriften bestehen könnten, zu nutzen, damit er seine politischen und diplomatischen Versprechungen zum Klimaschutz einhalten kann.