Gerade jetzt gilt es, die Coronakrise als Möglichkeit für soziale Innovationen zu nutzen, zum Wohle aller
Gerade jetzt gilt es, die Coronakrise als Möglichkeit für soziale Innovationen zu nutzen, zum Wohle aller
Ein Virus hat alles verändert. Covid-19 hat geschafft, was all die Diskussionen um Klimawandel und Gerechtigkeit der vergangenen Jahre nicht geschafft haben. Menschheitsbedrohende Phänomene sind keine Theorie mehr. Die Pandemie hat das Risiko unseres extensiven Lifestyles erlebbar gemacht. Denn diese weltumspannende Krise ist kein exogener Schock. Vielmehr hat die krasse, renditeorientierte Globalisierung die Ausbreitung befeuert.
Krisen sind meist brutal – Krisen wohnt aber immer auch Innovationspotential inne. Das gilt auch für die Covid-19-Pandemie. Dieses tod- und leidbringende Virus stellt nahezu alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Standardroutinen in Frage. Das Covid-19-bedingte Innovationsgeschehen umfasst alle gesellschaftlichen Bereiche, nicht nur das Arbeitsleben und die Produktion. Es geht nicht nur um die spontane Digitalisierung. Es geht auch um soziale Innovationen. In den vergangenen Monaten wurde gerade das gesamtgesellschaftliche Miteinander einem harschen Stresstest unterworfen – kurzum: Es wurden in kürzester Zeit neue Routinen etabliert, von denen das Homeoffice in diesem Zusammenhang nur ein Stichwort ist.
Aktuell geht flächendeckender Gesundheitsschutz vor Rendite – das war noch nie so. Aktuell gilt auch: Gesundheitsschutz ist wichtiger als schwarze Null. Auch ist klar geworden, dass gesellschaftlich notwendige Arbeit zwar systemrelevant ist, oft jedoch nicht angemessen entlohnt wird. Diese Krise zeigt die Einkommens- und Vermögensproblematik noch deutlicher auf, als dies ohnehin schon erkennbar war. Die große alte Frage stellt sich erneut – mit verschärfter Dringlichkeit: Wo will die Gesellschaft in Zukunft stehen?
Und gerade jetzt, kurz bevor die zum Schutz vor Covid-19 versprochene Impfwelle flächendeckend in Gang gebracht wird, lohnt es sich, kurz innezuhalten. Innezuhalten nicht nur, um vorbereitet zu sein, auf das, was da noch kommt, sondern auch, um die Zukunft aktiv mitzugestalten. Etliche technologische Innovationen, die uns helfen, in der Coronawelt zurecht zu kommen, werden sich in einer eventuellen Post-Covid-Zeit nicht einfach wieder zurückdrängen lassen. Das zeichnet sich für den Bereich „künstliche Intelligenz“ schon klar ab. Aber wie soll das Miteinander rund um die technologischen Lösungen organisiert werden?
Wir brauchen gezielte soziale Innovationen, die an die Krisenerfahrung anknüpfen. Eine zentrale Erfahrung, auch wenn sie nicht neu sein sollte, wird uns wieder ganz existentiell bewusst, nämlich dass Menschsein auch immer gesellschaftliches Miteinander heißt. Individualismus, Wettbewerb und Markt helfen gerade nicht, diese Krise gut zu überstehen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir in Zukunft noch öfter mit solchen Phänomenen konfrontiert sein. Allein die Krisenhäufigkeit in den vergangenen 20 Jahren deutet schon darauf hin.
Ich lade Sie daher ein, auf diese Krise durch eine besondere Brille zu blicken. Krisen sind immer auch Verteilungskrisen, es geht um Macht, Gestaltung und nicht nur im Kapitalismus um Geld. Auffallend erscheint, dass in der aktuellen Krise wichtige Akteure – wie die Gewerkschaften, die Wohlfahrtsverbände, die Interessenvertretungen von Eltern und Kindern, von Alten und anderen, aber auch die Kirchen – kaum die Stimme erheben. Dabei ist klar: Wir brauchen dauerhaft mehr Menschlichkeit.
Unser Menschsein hatten wir aber über Jahre sogenannten ökonomischen Zwängen untergeordnet. Das konnte nicht gut gehen – das haben viele schon früh gespürt. Dieses Gefühl hat nicht getäuscht. Daher sollten wir auch in der sogenannten Post-Covid-Zeit nicht bedingungslos an alle alten Routinen anknüpfen wollen. Es wäre besser, wenn wir die Vergangenheitsstrategien in Frage stellen würde. Tabus darf es dabei nicht geben. Konkret: Was hat uns die relativ schlechte Bezahlung von Arbeit in systemrelevanten Bereichen gebracht? Nutzt uns die große Ungleichheit von Einkommen und Vermögen? Soziale Innovation wäre es auch, die bedingungslose Akzeptanz von hohen und höchsten Renditen für das Kapital in Frage zu stellen.
Wie jede Krise hat auch diese Pandemie nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner hervorgebracht. Gewinner sind vor allem diejenigen, die auf E-Business und Digital gesetzt haben. Es ist auch klar, dass diese Krise hohe Kosten verursacht. Bei Einzelnen – aber auch auf der gesamtstaatlichen Ebene. Die Kredite für die unterschiedlichen staatlichen Pandemie-Pakete in Milliardenhöhe müssen in Zukunft zurückgezahlt werden – eine solche Tilgung sieht die Schuldenbremse vor. Der Verteilungskampf um die Zukunftsgestaltung hat bereits begonnen. Es wäre daher auch eine soziale Innovation, wenn sich die Gewinner der Krise bereitwillig und überproportional an den Kosten der Krisenbewältigung beteiligen wollen würden – damit die Euro-Milliarden für die staatlichen Stützungsprogramme nicht auch noch bei denjenigen eingesammelt werden müssen, die ohnehin wenig haben. Vermögensabgabe und Vermögensteuer heißen die technischen Lösungen für mehr Gerechtigkeit.
Es geht um viel, es geht um den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unseres Miteinanders. Ein einfaches Zurück in den Zustand vor Covid-19 ergibt keinen Sinn, denn dann hätten wir aus der Krise nichts gelernt.