Eisern

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

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Eisern

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

Während in ganz Deutschland die Restaurants wieder geschlossen haben, herrscht nicht nur im bekannten Pekinger Ausgeh-Viertel Sanlitun reges Treiben. Kaum noch jemand trägt Maske, die Menschen sind entspannt. Im ganzen Land ist das inzwischen wieder so. Die beneidenswert niedrigen Infektionszahlen in China sind offenbar keiner geschönten Statistik geschuldet, sondern Realität. China hat – anders als der Rest der Welt – die Pandemie im Griff. Wie kann das sein?

Der Katalog an Maßnahmen dort ist weitgehend bekannt: massenhaftes Testen, bereits bevor sich Symptome zeigen. Laborengpässe gibt es dort nicht. Dazu das schnelle Abriegeln lokaler Hotspots, die eiserne Kontrolle der Quarantäne, eine konsequente Nachverfolgung von Kontakten, der kein Datenschutz im Wege steht, und dazu strikte Einreisebeschränkungen.

Entscheidend für den Erfolg ist allerdings das gesellschaftliche Selbstverständnis der mehr als eine Milliarde Chinesen, das sich in den vergangen zweieinhalbtausend Jahren herausgebildet hat. Traditionelle, ehemals konfuzianisch geprägte Ordnungsvorstellungen haben ihre Wirkungsmacht bis heute nicht verloren. Dazu gehört die hohe Akzeptanz eines zutiefst paternalistisch organisierten Gemeinwesens, das es – Konfuzius’ Lehren hin oder her – gerade im Kommunismus zu neuer Blüte brachte. Der alte, straff durchorganisierte Beamtenstaat des Kaiserreiches, dessen Tentakel sich in die hintersten Winkel der Gesellschaft erstreckten und das Leben eines jedes Einzelnen mitbestimmten, ist trotz des Untergangs der Dynastien nie verschwunden. Im Gegenteil – er ist auf unheimliche Weise noch erstarkt. Auch die Kommunisten organisierten die Gesellschaft hierarchisch höchst kleinteilig in sogenannten Einheiten. Heute sind dies Nachbarschaftskomitees. Sie verstetigten damit das Blockwart-System, das es schon immer gab, um das Verhalten der Einwohner zu kontrollieren und dadurch das riesige Reich vor dem Zerfall zu schützen. Gegen umfassende soziale Kontrolle hat das Gros der Chinesen, weil sie es kaum anders kennen, nichts einzuwenden: Wer sich an alle gesellschaftlichen Regeln hält, kann sicher und friedlich leben. Seit zweitausend Jahren definiert die Mehrheit ihr Ich im Bezug zum Wir, nicht – wie im Westen – umgekehrt.

Wenn die Kanzlerin zu Beginn des neuerlichen Shutdowns an die Disziplin eines jeden Einzelnen appelliert, wohlwissend, dass sie damit kaum die Mehrheit der Bevölkerung erreicht, sind derlei Beschwörungen in China gar nicht nötig. Die soziale DNA sorgt schon per se für Wohlverhalten, der Rest ist dann Kontrolle.

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