Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Frauenfußball ist ein Kracher. Und medial – endlich! – präsent, zumindest im Moment. Die EM-Spiele werden in den Hauptprogrammen übertragen und erzielen beachtliche Zuschauerzahlen. Millionen fiebern mit. Sie bekommen eine Bildqualität geliefert, die denen der Männer in nichts nachsteht. So also kann Frauenfußball aussehen, wenn er mit vielen Kameras aufgenommen wird, wenn sich in schnellen Schnitten Nah- und Totalaufnahmen abwechseln, was bei den Männerspielen schon lange der Fall ist. Wenn – anders als bei der so lieblosen Übertragung von Bundesligaspielen in den mit Kameras nur dürftig ausgestatteten Stadien – technische Raffinesse, spektakuläre Schüsse und mitreißende Emotionen in Großformat zu sehen sind und sich die Spannung in den Partien unmittelbar auf den TV-Zuschauer überträgt. Und wenn männliche Kommentatoren und Moderatoren ihre vielfach gönnerhafte Attitüde gegenüber den Spitzensportlerinnen einmal ablegen und ihrerseits glaubhaft begeistert sind.
Vordergründig ist die Frauenfußball-Welt derzeit in Ordnung. Es scheint, als seien die Fußballerinnen ein gutes Stück weitergekommen – nicht nur in der medialen Präsenz, sondern auch in der gesellschaftlichen Akzeptanz eines im Kern noch immer sehr frauenfeindlichen Fußball-Deutschland. Nur: Kann dieser wunderbare EM-Effekt tatsächlich nachhaltig sein, vielleicht sogar über den Fußball hinaus Wirkung erzeugen auf den gesamten Frauensport in Deutschland? Kann er helfen, die Trainingsbedingungen zu verbessern, die erbärmliche Verdienstsituation, das kolossale Desinteresse, die Hetze?
Betrachtet man den Stellenwert des Frauensports insgesamt, muss man genau daran zweifeln. Man beachte nur, wie über Frauen im Sport gedacht, auf Verbandsebene gehandelt und medial berichtet wird. Immer wieder fördern Studien vor allem eines zu Tage: Im Sport geht es archaisch männlich zu. Der Frauensport macht im Raum deutschsprachiger Berichterstattung kaum mehr als 10 Prozent aus. In den Sportredaktionen sind Frauen unterrepräsentiert, häufig gar nicht vorhanden. Und die Art, wie über Frauen im Sport – wenn überhaupt – berichtet wird, ist nachweislich klischeebehaftet. Am meisten Aufmerksamkeit bekommen sie, wenn sie gut aussehen. Verbände und ihre zumeist männlichen Funktionäre haben aufgrund überkommener Gesellschaftsbilder ihrerseits über Jahrzehnte dazu beigetragen, den Frauensport in der Bedeutungslosigkeit zu halten – allen voran der DFB. Die Marginalisierung von Sportlerinnen ist also nichts Neues, auch wenn es derzeit durch ein wenig EM-Glanz so anders anmutet.
Dabei funktionieren gesellschaftliche Akzeptanz und Wertschätzung zunächst über Sichtbarkeit, nicht nur im Sport. Wenn allerdings Sichtbarkeit – wie bisher – generell erst dann gewährt wird, wenn die Akzeptanz vorhanden ist, verbessert sich gar nichts. Wer aber ist bereit, die dringend notwendigen Veränderungen anzustoßen – schon aus Einsicht in die gesellschaftliche Relevanz, die der Frauenleistungssport nicht nur für die Gesundheit der Hälfte der Bevölkerung, sondern auch für deren soziale Teilhabe besitzt? Professionelle Athletinnen haben, genauso wie ihre Kollegen, eine Vorbildbedeutung, die weit über den Breitensport hinausgeht. Damit die Leistungssportlerinnen gleichermaßen strahlen können wie die Männer, muss man sie zeigen, diskutieren, feiern. Dauerhaft. Wenn die EM-Bilder so schnell wieder verschwinden wie die Eindrücke der immerhin in Deutschland ausgetragenen Frauenfußball-WM von 2011, dann ist dort gar nichts gewonnen. Lassen wir uns also von der derzeit scheinbar heilen Frauenfußballwelt nicht blenden: Der Weg ist noch weit. Und er wird kein leichter sein.